Page - 167 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 167
deren Ergebnisse er 1928 in monographischer Form publizierte. Er und sein Kollege
Tschischow stellten 1927 Emulsionen größerer Dicke von bis zu 50 μ selbst her, um
damit Bahnspuren von α-Strahlen zu registrieren.367 Mittels verbesserter Emulsionen
fanden Ždanov und andere in der Platte durch kosmische Strahlung hervorgerufene
»Sterne«.368 Aufbauend auf den Arbeiten der Ždanov-Gruppe entwickelte der Franko-
kanadier Pierre Demers ein eigenes Herstellungsverfahren für Kernspuremulsionen,
die bedeutend empfindlicher waren als die handelsüblichen Platten.369
Blau arbeitete bei der Weiterentwicklung der Platten eng mit der Fotoindustrie zu-
sammen.370 Bald nachdem das Berliner Fotounternehmen Agfa im Konzernverbund
der IG Farbenindustrie aufgegangen war (1925), wurden die Forschungslaboratorien
der Agfa von Berlin in die Filmfabrik Wolfen verlegt.371 John Eggert, der schon das
Fotochemische Labor des Unternehmens in Berlin-Treptow geleitet hatte, stand seit
1928 dem neu gegründeten Wissenschaftlich-Fotochemischen Labor der Agfa-Filmfa-
brik in Wolfen vor.372 Eggerts Abteilung befasste sich mit Grundlagenforschung und
der Ausarbeitung neuer fotografischer Verfahren und Technologien. Die Agfa-For-
schungsabteilung war durch Sonderdrucke, die Blau regelmäßig nach Wolfen sandte,
über den Fortgang der Wiener Forschungen genau informiert.373 1932 war Blau selbst
im Wolfener Labor der Agfa tätig, wo sie neben Eggert auch mit Hans Ahrens und
einem weiteren wissenschaftlichen Angestellten zu tun hatte.374 Zugleich verstärkte sie
ihre Zusammenarbeit mit Hertha Wambacher, deren Dissertation sie zuvor am II.
Physikalischen Institut der Universität Wien betreut hatte.375
Wenn die Kontroverse mit dem Cavendish Laboratory dem Ansehen der Wiener
Atomzertrümmerer auch Schaden zugefügt hatte, so hatte sie doch ein Gutes : In Wien
begann man nach alternativen Messmethoden für atomphysikalische Prozesse zu su-
chen und diese konsequent experimentell weiterzuentwickeln. Innerhalb der Gruppe
367 Vgl. Musiol 1995, 24. Im Jahr 1940 entwickelte Mysovskij zusammen mit N. A. Perfilow und G. B.
Ždanov eine Methode der Kernemulsion. Vgl. Joos/Schopper 1958, 302.
368 Joos/Schopper 1958, 304.
369 Vgl. Galison 1997a, 192–196.
370 Vgl. Archiv im Industrie- und Filmmuseum Wolfen, Filmfabrik Wolfen, Wissenschaftliche Abteilung,
ab sofort : AIFM, Schriftverkehr mit Firmen, Institutionen und Einzelpersonen (Prof. Eggert), A 19857,
Bl. 413c : Eggert an Blau vom 26.1.1919.
371 Vgl. BAB, R 8128/AW 365 : Protokoll der Vorstandssitzung der Agfa Berlin SO 36 vom 29.9.1926.
372 Vgl. Finger 1994, 25.
373 Vgl. AIFM, Schriftverkehr mit Firmen, Institutionen und Einzelpersonen (Prof. Eggert), A 19857, Bl.
413c : Ahrens an Blau vom 27.1.1936.
374 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 175 : Blau an Meyer vom 4.10.1932.
375 Vgl. Rosner/Strohmaier 2003, 35 ; Galison 1997a, 150. Beide gingen daran, die fotografische Methode
zu verbessern, indem sie gemeinsam an Wambachers Dissertationsthema der Desensibilisierungsstoffe
arbeiteten.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369