Page - 170 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932170
cken.387 In seinem Briefverkehr wehrte sich Meyer gegen den kommerziellen Aspekt der
Poloniumgewinnung, musste sich den finanziellen Nöten seines Instituts jedoch beugen :
»Unser Institut ist ein wissenschaftliches Forschungsinstitut und im allgemeinen nicht mit
Verkäufen von Präparaten befaßt. Wären die Verhältnisse so wie vor der Zertrümmerung
unseres alten Staates, so würde ich […] Ihnen für Ihre wissenschaftlichen Zwecke die ge-
wünschten Präparate kostenlos zur Verfügung […] stellen. […] Sehr gegen mein innerstes
Empfinden möchte ich daher und muss ich mich daher bereit erklären ein Entgelt für die
gewünschten Poloniumpräparate anzunehmen.«388
Das Institut versandte mit Polonium beschichtete Metallplättchen nicht nur an indus-
trielle Kunden, sondern vor allem auch an wissenschaftliche Institutionen im In- und
Ausland.
Die Leistungsfähigkeit der Wiener Poloniumpräparate war in den 1920er Jahren
begrenzt. Ein typisches Präparat hatte auch am Ende des Jahrzehnts noch eine Stärke
von 100 bis 500 elektrostatischen Einheiten. Nur insgesamt dreimal wurde in dieser
Zeit ein Präparat in der Stärke von 2.000 elektrostatischen Einheiten hergestellt. Dies
entsprach einer Menge von circa zwei Milligramm Radium.389 Die damals bekannte
Gewinnungsmethode erforderte große Mengen an radioaktivem Ausgangsmaterial, die
selbst im gut ausgestatteten Wiener Institut nicht vorrätig waren. Gegenüber dem
schwedischen Energieversorgungsunternehmen Kungliga Vattenfallsstyrelsen in Stock-
holm, das eine relativ große Menge Polonium anforderte, führte Meyer aus :
»[Z]wischen Ra und Po steht RaD mit 16 Jahren Halbierungszeit ; bei der Fabrikation geht
das Pb-Radioblei grossenteils auf Abweg und nur ein Bruchteil kann herangezogen werden –
Praktisch verlangt obige Intensität von 2000 e[lektro]. st[atischen]. E[inheiten]. also das
Äquivalent zu der Grössenordnung von einigen hundert Milligramm Radium und das sind
weder wir noch irgendjemand derzeit regelmässig zu liefern imstande.«390
387 Die Gebühr lag bei zwei Schilling pro zehn elektrostatische Einheiten. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL
Meyer, K 21, Fiche 342 : Greinacher an Meyer vom 30.4.1929.
388 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 314 : Meyer an Vattenfallsstyrelsen Kraftverksbyran
Stockholm vom 16.2.1921.
389 In Wien wurde die Stärke der Poloniumpräparate für gewöhnlich in der Anzahl elektrostatischer Einheiten
gemessen. Eine solche Einheit maß den Ionisationsstrom, das heißt die Gesamtzahl der Ionen, die durch
den α-Strahler hervorgerufen wurden. Englischsprachige Autoren verwendeten hingegen die Bezeichnung
»mg Polonium«, wobei ein Milligramm Poloniumäquivalent etwa 1.400 elektrostatischen Einheiten ent-
sprach. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 279 : Pettersson an Malik vom 2.1.1927.
390 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 314 : Meyer an Vattenfallsstyrelsen Kraftverksbyran
Stockholm vom 9.3.1921.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369