Page - 172 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932172
Grundsätzlich bestand auch in Paris die Option, mit dem einmal gewonnenen rei-
nen Poloniumpulver kleine Platten zu beschichten, das Material also aufzuteilen und
so den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Labors zugänglich zu machen. Doch die
Curies entschieden sich gegen diesen Weg. Um ihre Forschung voranzutreiben, kon-
zentrierten sie sich darauf, das vorhandene Material in einem einzelnen, möglichst
leistungsfähigen Präparat zu konzentrieren.399 Vorerst blieb Paris damit in der Herstel-
lung sehr starker Poloniumpräparate führend. Pettersson besuchte die Curies im Früh-
jahr 1927 und schwärmte in einem Brief an Meyer :
»Mme Curie […] [ist] momentan damit beschäftigt ein Präparat um 50.000 Stat. Einheiten
zu machen. […] Das Wasser lief mir im Mund zusammen wenn ich an diesem Reichtum
hörte [sic !] und Mme Curie war freundlich genug ihr früheres Versprechen zu wiederholen
dass wenn es geht wir noch ein Präparat von ihr bekommen werden, aber ich halte diese
Möglichkeit für sehr entfernt. Sie gab uns jedenfalls viele gute Ratschläge für die Herstellung
von Poloniumpräparaten […]. Sie will anscheinend genug Polonium haben um [es] als Me-
tall herstellen zu können. Sie interessiert sich sehr für die 1 g[ramm]. und drückte die Ab-
sicht aus künftig in ihrem Institut damit arbeiten zu wollen. Zunächst will sie die Eigen-
schaften der H-Strahlen untersuchen lassen.«400
Irène und ihr Ehemann Frédéric Joliot waren dank ihrer Polonium-Strahlungsquellen
gemeinsam mit Louis de Broglie unter den ersten, die sich angesichts der schwelenden
Kontroverse zwischen Wien und Cambridge 1928 nun ebenfalls der Atomzertrümme-
rungsforschung zuwandten.401
Elisabeth Rona entwickelte die Pariser Methode unterdessen in Wien gemeinsam
mit ihrem Kollegen Ewald Schmidt weiter.402 1928/29 hatten sie den Vorsprung der
Curies eingeholt. Aus einem großen in Wien vorhandenen Radiumpräparat gewannen
sie mittels der von ihnen entwickelten Destillationsmethode Radium D und Polonium
in einer Stärke von bis zu 20.000 elektrostatischen Einheiten.403 1929 gelang es ihnen,
ein Präparat der Stärke von 40.000 elektrostatischen Einheiten herzustellen, so dass in
399 Vgl. Hughes 1997, 332.
400 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 279 : Pettersson an Meyer vom 10.5.1927.
401 Vgl. Hughes 1997, 331.
402 Vgl. Rona/Schmidt 1928.
403 Die Poloniumpräparate gaben bis zu 300 Millionen α-Partikel pro Sekunde ab. Vgl. RAC, IEB, Series
1.3, Box 56, Folder 923 : Hans Pettersson, Report vom April 1928. Chadwick wandte die in Wien entwi-
ckelte Destillationsmethode später an, um Polonium zu gewinnen, allerdings ohne Einsatz flüssiger Luft.
Vgl. Göteborgs Universitetsbibliotek Handskriftsavdelningen, Hans Pettersson, 1888–1966, Vetenskap-
lig korrespondens, ab sofort : GUB, Hans Pettersson : Karlik an Pettersson vom 15.3.1931.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369