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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932174
vorhandenen Vorräte aber kaum aus, um den Eigenbedarf zu decken.411 Kein Wunder
also, dass sich die Anfragen der ausländischen Kollegen und Kolleginnen in Wien seit
den späten 1920er Jahren häuften.412
Die jeweils leistungsstärksten Präparate wurden nicht verliehen, denn sie sicherten
der Wiener Gruppe einen Vorsprung vor der britischen und deutschen Konkurrenz.
Schwach radioaktive Präparate mit bis zu zehn elektrostatischen Einheiten wurden
dagegen unverzüglich bereitgestellt. Auch Anfragen von Präparaten mit wenigen hun-
dert elektrostatischen Einheiten wurden rasch erfüllt.413 Aber schon mittelstarke Prä-
parate in der Größenordnung von 1.000 bis 1.500 elektrostatischen Einheiten wurden
nur nach längeren Wartezeiten in das Ausland versendet.414 Da Rona mit der Poloni-
umproduktion kaum nachkam, wurden ausländische Kollegen und Kolleginnen im-
mer öfter vertröstet, wenn deren Bitten um Präparate nicht sogar ganz ausgeschlagen
wurden.415
Polonium wurde, ähnlich wie die Präparate in der Vorkriegszeit, nach strategischen
Gesichtspunkten verliehen : Vor allem diejenigen wurden bedacht, die die Wiener
Gruppe mit ihrem Spezialwissen unterstützten. So erhielt beispielsweise der Schweizer
Physiker Hans Greinacher, der als Professor an der Universität Bern arbeitete, ein Polo-
niumpräparat aus Wien.416 Im Gegenzug schickte Pettersson seinen Mitarbeiter Nor-
bert Kreidl 1925 nach Bern, damit dieser bei Greinacher die Herstellung von elektro-
nischen Verstärkern zur Zählung atomarer Rückstoßphänomene bei H-Teilchen erler-
ne.417 Die Chancen, ein Poloniumpräparat zu erhalten, waren für diejenigen am
größten, die selbst auf dem Feld der Atomzertrümmerungsforschung arbeiteten und
bereit waren, zur Aufklärung der Kontroverse mit dem Cavendish Laboratory beizu-
tragen.
Unter den ersten Laboratorien, die Anfang 1929 im Deutschen Reich begannen
Atome zu zertrümmern, war die Gruppe um Gerhard Hoffmann an der Universität
411 Vgl. CAC, MTNR 5/10/3, Bl. 2 : Meitner an König vom 3.10.1932.
412 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 229 : Jaffé an Meyer vom 10.4.1928 ; RAC, RF, RG
12.1, Box 139, Folder 3, Bl. 181 : W. J. Robbins, Trip to Zurich, Vienna, Munich, and Strasbourg vom
13.11.1928 ; AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 342 : Ising an Meyer vom 21.2.1929 ; ebd.,
K 21, Fiche 342 : Grainacher an Meyer vom 30.4.1929 ; ebd. K 18, Fiche 290 : Raudnitz an Meyer vom
30.10.1929.
413 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 279 : Pettersson an Malik vom 2.1.1927.
414 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 342 : Meyer an Hoffmann vom 8.3.1929.
415 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 342 : Meyer an Ising vom 27.2.1929.
416 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 342 : Greinacher an Meyer vom 30.4.1929. Hans
Greinacher entwickelte wie Georg Stetter in Wien elektronisch verstärkte Aufzeichnungsgeräte. Vgl.
Frisch 1967, 45.
417 Vgl. AIP, Norbert Kreidl Papers, Manuscript biography Norbert Kreidl, Autobiography for physics ins-
titute vom 21.3.1974.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369