Page - 175 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 175
Halle.418 Die Hallenser verwendeten für ihre Experimente anfangs ein Präparat, dessen
Leistung zehn elektrostatische Einheiten nicht überschritt. Innerhalb der Forschungs-
gruppe Pettersson wurde die Leipziger Bitte um ein stärkeres Poloniumpräparat durch-
aus ambivalent aufgenommen. Der in Halle tätige Wiener Physiker Adolf Smekal
wiegelte die Befürchtungen vor einer potenziellen Konkurrenz ab :
»Es sind ja zunächst nur die Vorversuche mit einem sehr schwachen, natürlich auch von
auswärts erhaltenen Präparat eingeleitet, und meines Wissens wird noch keineswegs daran
gedacht, die Zertrümmerbarkeit einer konkreten umstrittenen Substanz nachzuprüfen. […]
Angesichts der höchst geteilten Beurteilung, welche die Wiener Versuche gegenwärtig im
Reiche finden […] hatte ich mit meiner Anregung [statt der vorhandenen schwachen Hal-
lenser starke Wiener Poloniumpräparate zu verwenden, S.
F.] zweierlei im Sinne […] : einmal
die Erhaltung einer objektiv-freundlichen Atmosphäre selbst im Falle durchaus möglicher
abweichender Ergebnisse an Hoffmanns Apparatur […] ; dann aber eine Beschleunigung der
hiesigen Versuche, die mir vor allem auch durch das unzulängliche Präparat gehemmt zu sein
scheinen. Bei den geradezu inquisitorischen Fragen, die [Gerhard] Kirsch in seinem vorletz-
ten Briefe plötzlich hinsichtlich der Verwendungsabsichten des Präparates gestellt hatte, wäre
zumindest die erstere Absicht kaum mehr zu erreichen gewesen.«419
Hoffmanns Assistent Heinz Pose bekam trotz der Vorbehalte Kirschs doch noch ein
Wiener Poloniumpräparat. Er bestätigte mit seinen Versuchen unter Einsatz eines von
ihm selbst konstruierten Elektrometers zunächst Ewald Schmidts Ergebnis, dass
α-Teilchen kurzer Reichweite (unter zwei Zentimetern) H-Partikel aus Aluminium-
Atomen herausschlagen können.420 Seine Ergebnisse zur umstrittenen Vorwärtsstrah-
lung des Aluminiums trugen dazu bei, die Unstimmigkeiten der Wiener und Cam-
bridger Ergebnisse aufzulösen. Mit den Kernresonanzvorgängen fand Pose ein bis da-
hin unbeachtetes Moment im Atomzertrümmerungsprozess.421
Der Poloniumverleih diente nicht ausschließlich dem wissenschaftlichen Erkennt-
nisgewinn. Er war auch ein Argument, mit dem Meyer die Förderwürdigkeit seines
Instituts bei der Notgemeinschaft herausstrich. Immerhin habe das Institut für Radi-
umforschung den deutschen Atomzertrümmerern wiederholt kostenlos Präparate zur
Verfügung gestellt und damit seine Nützlichkeit für die deutsche Wissenschaft unter
418 Das Institut erhielt später weitere Poloniumpräparate aus Wien. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer,
K 19, Fiche 310 : Smekal an Meyer vom 7.3.1931.
419 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 309 : Smekal an Meyer vom 15.1.1929.
420 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 281 : Pettersson an Rockefeller Foundation vom
9.7.1930.
421 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 309 : Smekal an Meyer vom 16.6.1930.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369