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Kernforschung in Österreich,
1932–1938188
Sterling, um damit ein Zyklotron zu bauen, das den Plänen des 37-inch-Zyklotrons
von Berkeley folgte.48 Es hinkte gerätetechnisch allerdings den Entwicklungen in den
USA hinterher. Mit dem Weggang einer Reihe prominenter Physiker aus Cambridge,
etwa von James Chadwick nach Liverpool 1935, erhielten zudem auch andere Univer-
sitäten entsprechende Geräte.49
Frédéric Joliot fuhr zweigleisig. Zum einen baute er nahe Paris einen Van de Graaff-
Hochspannungsgenerator mit einer Leistung von 1,2 MeV. Mit dem Einverständnis der
Faculté des Sciences ging er zum anderen daran, in einem bereits vorhandenen Industrie-
labor in Paris, das über einen Hochspannungsgenerator mit einer Leistung von bis zu drei
MeV verfügte, mehrere Teilchenbeschleuniger zu errichten. 1935 richtete er eine erste
Anfrage an die Rockefeller Foundation, den Ausbau seiner Laboratorien mit zwei Millio-
nen Francs zu unterstützen, die aber abgelehnt wurde. Stattdessen erklärte sich die Acadé-
mie des Sciences in Paris im Herbst 1935 bereit, die Pläne des frisch gebackenen Nobel-
preisträgers für Chemie zu unterstützen und ein Laboratoire de Synthèse des Radioélé-
ments Artificiels einzurichten. Im Juni 1937, nach dem Sieg der vereinigten linken Par-
teien (Front Populaire) in Frankreich, wurde Joliot zum Professor für Nuklearchemie am
Collège de France ernannt und zugleich zum Leiter des neu gegründeten Laboratoire de
Synthèse Atomique bestellt. Die Mittel, um das neue Labor einzurichten und mit ver-
schiedenen Hochspannungsbeschleunigern auszustatten, kamen im Wesentlichen von der
Volksfront-Regierung Léon Blums, zu der Joliot und seine Frau Irène gute Kontakte
pflegten. Auch der Plan, in Paris ein Zyklotron zu errichten, wurde unverzüglich in die
Tat umgesetzt. Joliots gute Kontakte zu Lawrence, dem Erbauer des ersten Zyklotrons,
aber auch die Tatsache, dass sein Forschungsprogramm mit den neuen Förderrichtlinien
der Rockefeller Foundation harmonierte, verhalfen ihm 1937 schließlich doch noch zu
einer beträchtlichen Spende der Stiftung.50 So stellte das neue Labor Isotopen für die
biologische und physikalisch-chemische Anwendung her und es beschäftigte einen Biolo-
gen, der radioaktive Tracer erforschte. Die Stiftung bezahlte auch den einjährigen For-
schungsaufenthalt Hugh Paxtons in Paris, eines Mitarbeiters von Lawrence und Spezialis-
ten für den Zyklotronbau. Zugleich finanzierte sie die Entsendung eines Assistenten von
Joliot in die USA, der ein Jahr mit Lawrence in Berkeley arbeitete.
onen messen und deren Ertrag als Funktion der Beschussenergie schätzen. Der Beschleuniger sollte einen
möglichst starken Protonenstrom erzeugen.
48 Vgl. Crowther 1974, 230. Weitere 30.000 Pfund Sterling kamen durch den Verkauf der Ausrüstung Pjotr
Kapitzas an die Sowjetunion. Vgl. Heilbron 1986, 20, 22.
49 Vgl. Hughes 2003, 106, 114–115. Siehe auch Hinokawa 2003.
50 Vgl. Pinault 2003, 122–124. Siehe auch Musée Curie Paris, Fonds Frédéric Joliot, ab sofort : MC, FFJ, F
55, Fiche 305–310 : Projet de création d’un laboratoire specialisé pour la production des nouveaux radio-
éléments et leurs applications biologiques et physico-chimique vom 2.7.1937.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369