Page - 202 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938202
Der Leiter des Zentrallabors der Filmfabrik, Eggert, war dessenungeachtet durchaus
daran interessiert, mit der kernphysikalischen scientific community zu kooperieren.
Während der Kontakt nach Wien vorübergehend auf Eis gelegt wurde, bauten die
Wolfener Industrieforscher ihre Zusammenarbeit mit Kern- und Höhenstrahlungsfor-
schern aus dem Deutschen Reich stetig aus. In der Filmfabrik, die sich unter dem
Dach des IG Farben-Konzerns seit Mitte der 1920er Jahre zu einem der weltgrößten
Fotochemiebetriebe entwickelte, ging es nicht allein darum, die Nachfrage eines klei-
nen wissenschaftlichen Kundenkreises zufrieden zu stellen.116 Das Unternehmen hatte
vielmehr ein handfestes kommerzielles Interesse daran, die Wechselwirkung verschie-
dener Strahlenarten mit der fotografischen Emulsion zu untersuchen, wie Forschungs-
direktor Eggert gegenüber der Firmenleitung darlegte :
»Neben der allgemeinen Information, die es uns ermöglichen soll, aus dem Kundenkreis
einlaufende Anfragen besser als bisher zu beantworten, hoffen wir, durch dieses andersartige
Untersuchungsmittel neue Einblicke in den photographischen Prozeß gewinnen zu können.
Neben dem Studium der Literatur und der bisher in Gemeinschaft mit anderen Stellen ge-
sammelten Erfahrungen wurden bereits vorhandene Aufnahmen von Protonen und von
Höhenstrahlung mikrophotographiert und z. T. ausgewertet.«117
John Eggert und seine Mitarbeiter interessierten sich nicht nur für den Einsatz der
Platten bei kernphysikalischen Messungen, um etwa Neutronen nachzuweisen. Es ging
ihnen auch darum herauszufinden, wie sich die Höhenstrahlung auf die fotografische
Emulsion auswirkte. Seit Mitte 1933 unternahmen sie gemeinsam mit dem Berliner
Physiker Werner Kolhörster Versuche, bei denen sie die Einwirkung von kosmischer
Strahlung auf verschiedene fotografische Materialien maßen.118 Außerdem unterhielt
Eggert engen Kontakt zum Physikalischen Institut der TH Stuttgart, wo Erwin Schop-
116 Die Filmfabrik Wolfen (gegr. 1910) gehörte der Agfa Aktiengesellschaft Berlin, die 1925 gemeinsam mit
den Farbwerken Hoechst, den Farbenfabriken Bayer, der BASF, Griesheim Elektron und den Chemie-
werken Weiler ter Meer in der IG Farbenindustrie AG aufging. Vgl. zur Marktposition des Geschäftsbe-
reichs Fotografik der IG Farben im Deutschen Reich, in Europa und Übersee in der Zwischenkriegszeit
Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, OMGBY13/84–1/1, OMGUS Control Office for I. G. Far-
benindustrie A. G., Special Report on Agfa Photographic Activities, December 1945.
117 AIFM, A 11443 : Monatsberichte der Wissenschaftlichen Abteilung Prof. Eggert, Januar 1937-März
1938.
118 Kolhörster war seit 1930 als Privatdozent für Geophysik an der Universität Berlin tätig und wurde 1935
zum ordentlichen Professor für Strahlenphysik und Direktor des Instituts für Höhenstrahlenforschung
der Universität Berlin ernannt. Im selben Jahr finanzierte die Preußische Akademie der Wissenschaften
ihm ein eigenes Laboratorium in Potsdam, wo er an der Verbesserung moderner Zählmethoden der
kosmischen Höhenstrahlung arbeitete. Vgl. Flügge 1980, 460.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369