Page - 204 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938204
In Österreich waren die Bedingungen, um kosmische Strahlung mittels Fotoplatten
aufzuzeichnen, seit den frühen 1930er Jahren dennoch relativ günstig. In Innsbruck gab
es eine gute, mehrheitlich mit ausländischen Geldern errichtete Infrastruktur für die
Höhenstrahlungsforschung. Marietta Blau und Hertha Wambacher nutzten für ihre
Messungen die traditionell engen Verbindungen des Instituts für Radiumforschung zu
Hess, der seit 1931 dem Institut für Strahlenforschung an der Universität Innsbruck
vorstand. Hess folgte 1937 einem Ruf an die Universität Graz, kurz nachdem er den
Nobelpreis für die Entdeckung der Höhenstrahlung bekommen hatte. Das Institut für
Strahlenforschung und die Messstation auf dem Hafelekar wurden daraufhin dem Phy-
sikalischen Institut der Universität Innsbruck angegliedert, doch Hess ermöglichte es
seinen Wiener Kolleginnen auch weiterhin, in der auf 2.300 Metern Höhe gelegenen
Station Ilford-Platten über fünf Monate hinweg der Höhenstrahlung auszusetzen.124 Im
Sommer 1937 entdeckten Blau und Wambacher auf den Platten Teilchenbahnspuren
mit sternförmigem Verlauf, die aus Reaktionen zwischen Partikeln der kosmischen
Strahlung mit den in der Emulsion enthaltenen Kernen stammten. Die Publikation der
beiden Physikerinnen über das Ereignis in »Nature« bewog die im englischen Bristol
arbeitenden Physiker Cecil Powell und Walter Heitler im Juni 1938, ebenfalls kosmi-
sche Strahlenschauer mittels der fotografischen Methode zu untersuchen.125 Powell und
der führende russische Experte auf dem Gebiet, G. B. Ždanov, waren insbesondere von
den Möglichkeiten fasziniert, die dreidimensionale räumliche Verteilung der Teilchen-
spuren zu verfolgen. Dies war sonst nur in der Wilsonkammer möglich.126
Die beiden Wiener Physikerinnen wollten ihre Versuche in noch größeren Höhen
fortsetzen und suchten daher nach Möglichkeiten, Fotoplatten bei einem Stratosphä-
renflug kosmischer Strahlung auszusetzen. Als Kooperationspartner bot sich Erich
Regener am Stuttgarter Institut an, der in der Vergangenheit bereits zahlreiche Ballon-
aufstiege durchgeführt hatte.127 Doch die Kommunikation zwischen der Wiener
Gruppe, Schopper und dem Wissenschaftlichen Zentrallabor in Wolfen beziehungs-
weise Regener in Stuttgart gestaltete sich schwierig. Schon im Sommer 1937 hatte Blau
ihrem Institutsleiter Meyer frustriert berichtet :
Peter Debye. Vgl. Freytag 2007, 235. Auf den von Regener durchgeführten Ballonflügen exponierte
Schopper zudem Fotoplatten in bis zu 30 Kilometern Höhe. Vgl. Groenevelt/Müllner/Schmidt-Bö-
cking/Stelzer 2009, 114.
124 Das Institut für Strahlenforschung an der Universität Innsbruck wurde im Zuge von Hess’ Fortgang
nach Graz als separate Abteilung dem dortigen Physikalischen Institut angegliedert und der Leitung
Friedrich von Lerchs unterstellt. Vgl. Huter/Machek/Oberkofler/Steinmaurer 1971, 100.
125 Vgl. Galison 1997a, 154, 167.
126 Vgl. Rosner/Strohmaier 2003, 38.
127 Vgl. AMPG, III. Abt., Rep. 45 NL Paneth, Nr. 44, Bl. 38 : Paneth an Hahn vom 15.11.1935.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369