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Kernforschung in Österreich,
1932–1938214
Kirsch parallel zu seiner kernphysikalischen Arbeit Gesteinsanalysen im In- und Aus-
land durchgeführt.157 Um das Alter des geologischen Materials zu bestimmen, maß er
die Zerfallsraten natürlich vorkommender radioaktiver Isotope in den Proben. Dane-
ben widmete er sich Problemen der Geomechanik, das heißt, er untersuchte mecha-
nisch-physikalische Abläufe in den Gestirnen.158 Kirsch knüpfte dabei an eine Tradi-
tion am Institut für Radiumforschung an, den Zusammenhang zwischen Radioaktivi-
tät und Geologie, und speziell die geologische Zeitmessung des Erdalters zu erfor-
schen.159
Die Pioniere der Atomzertrümmerungsforschung in Wien zählten definitiv nicht
zum elitären Wissenschaftlerkreis, dessen Förderung sich die Rockefeller Foundation
verschrieben hatte. In New York war bekannt, dass Pettersson nach der Übernahme der
Göteborger Professur seltener denn je nach Österreich kam.160 Der Schwede blieb aber
ihr Hauptansprechpartner in allen Fragen der Wiener Kernforschung. Pettersson habe
zwar, so der Pariser Rockefeller-Mitarbeiter Wilbur E. Tisdale, bei seiner wissenschaft-
lichen Arbeit Fehler gemacht, aber auch einige solide Ergebnisse geliefert und eine
Gruppe von verlässlichen Forschern und Forscherinnen um sich versammelt. Dem
Direktor der Abteilung Naturwissenschaften der Stiftung, Warren Weaver, empfahl er
deshalb, Pettersson und damit auch die Wiener Gruppe ein weiteres Jahr zu fördern
und ihn dann »sausen zu lassen«, falls sich in der Zwischenzeit keine neuen Entwick-
lungen ergeben haben sollten.161 Weaver teilte Tisdales wohlwollende Ansichten über
Pettersson nur bedingt. Er verwies darauf, dass der Schwede als Anführer der Wiener
Kernforschungsgruppe in der internationalen Kernphysik mehr und mehr ins Hinter-
treffen geriet und daher kaum für eine weitere Förderung in Betracht käme. Im Som-
mer 1934 schrieb er an seinen Kollegen in Paris :
»If one were to support any work in atomic or nuclear disintegration (and this subject, inci-
dentally, is going forward so rapidly and so successfully that there would seem to be a reason-
able doubt as to whether it needs any impetus from us), I would suppose that the group at
Cambridge and [Ernest] Lawrence’s group at Berkeley would lead the list in desirability, with
[Charles Christian] Lauritsen at Calif. Tech., van de Graaff at MIT, Jolliot [sic !] and Curie
at Paris, and various other European workers coming in the second flight. It would be my
157 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 236 : Kirsch an Meyer vom 22.8.1930.
158 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 630/4/356698–2,c (1939), Bl.
4–8 : Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Bericht über die Wiederbesetzung
einer ordentlichen Professur für Physik vom 4.11.1939.
159 Siehe Lawson 1917 ; Mache/Bamberger 1914.
160 Vgl. RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Tisdale an Weaver vom 30.5.1934.
161 RAC, RF, RG 1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : Tisdale an Weaver vom 18.7.1934.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369