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Das Zentrum verliert den Anschluss 225
richtsverwaltung, wenn sie einmal aus Mangel an inländischen Kandidaten genötigt ist, eine
Berufung von auswärts vorzunehmen, österreichische Gelehrte bevorzugt, wohl in der be-
rechtigten Erwartung, dass diese in den nationalen Verhältnissen der Moldaurepublik sich
leichter und rascher zurechtfinden, als solche, die von anderwärts kommen. […] die Zahl
dieser österreichischen Lehrkräfte in Prag wäre noch grösser, wenn es nicht von Zeit zu Zeit
vorkäme, dass Gelehrte, die hier ein Amt bekleiden, es vorziehen, auf der oft bescheideneren
Stellung in Wien zu verbleiben. Relativ gross ist auch die Zahl der österreichischen Lehr-
kräfte, die der medizinischen und juridischen und naturwissenschaftlichen Fakultät der
Prager deutschen Universität angehören und auch an den deutschen Techniken in Prag und
Brünn sind die technischen sowie die theoretisch-naturwissenschaftlichen Fächer vielfach
mit Oesterreichern besetzt. Es ist keine Übertreibung, wenn behauptet wird, dass für einen
Privatdozenten unserer Universität derzeit eine Berufungsmöglichkeit nach Prag und Brünn
eher als nach Graz und Innsbruck besteht.«209
Die Kommission drang deshalb darauf, mit der Tschechoslowakei ein kulturpolitisches
Abkommen zu schließen, damit Studierende und Privatdozenten aus Österreich im
Nachbarland leichter studieren oder auf Professuren berufen werden konnten. Lang-
fristig, so hoffte die Kommission,
»[…] würden solche vertragliche Regelungen des Berufungswesens zu gleichgearteten Über-
einkommen mit anderen ganz oder teilweise deutschen Staaten den gesamtdeutschen Cha-
rakter der Wissenschaft stärken helfen, aus dem jeder einzelne für sein geistiges Schaffen die
wertvollsten Antriebe und Anregungen erfährt, vor allem aber der altösterreichischen Vergan-
genheit der deutsch-tschechoslowakischen Hochschulen entsprechen, die noch immer eine
Grundlage ihres Bestandes und ihres Gedeihens ist.«210
Allerdings waren die instrumentelle Ausstattung und die Versorgung mit Strahlungs-
quellen der Physikalischen Institute des Nachbarlandes noch schlechter als in Öster-
reich, was die dortigen Positionen für die an den Universitäten forschenden Akademi-
ker und Akademikerinnen nicht unbedingt attraktiv machte.211 Georg Stetter bei-
spielsweise lehnte aus diesem Grund den Ruf an die Deutsche Technische Hochschule
Prag, der ihm 1936 und 1938 angetragen wurde, zweimal ab.212
209 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 305/2C/1 : Kommissionsbericht
betreffend Förderung des akademischen Nachwuchses vom 8.5.1936.
210 Ebd.
211 Vgl. UAW, NL Stetter, Sch 312, Inv. 131.410 : Funk an Stetter vom 24.2.1937.
212 Vgl. UAW, NL Stetter, 131.40 : Memorandum zur Patentfrage, undatiert.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369