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Das regionale Netzwerk wird zerstört 251
nannte sich fortan Joint Commission on Standards, Units and Constants of Radioac-
tivity of the I.C.S.U. (International Council for Science/Conseil International pour la
Science, ehemals International Council of Scientific Unions).72 Meyer war als Präsi-
dent der alten Radiumstandard-Kommission zwar nie offiziell abgewählt worden, doch
wurde er über die laufenden Aktivitäten der neuen Gremien kaum noch informiert
und auch an strittigen Entscheidungen nicht beteiligt.73
Die während des Krieges mit der PTR vereinbarten systematischen Überprüfungen
der Hönigschmid-Standards von 1934 fanden wie verabredet in Brüssel und Paris statt,
und zwar mit der bei der Union Minière gebauten Messapparatur. Die Messergebnisse
wiesen Ungereimtheiten auf und bestärkten die Zweifel der Joliot-Curies an der Ver-
lässlichkeit dieser Standards. Demzufolge war das alte Pariser Urnormal im Grunde der
einzige Standard, der durch internationale Bestätigung als gültig anzusehen sei.74 Der
Widerspruch Meyers war umsonst. Das Feld der Standardisierung wurde, wie auch die
Kernphysik, nach Kriegsende von US-amerikanischen, britischen und französischen
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen beherrscht. Während die österreichischen
Kommissionsmitglieder ihre Stimme im internationalen Mächtekonzert verloren, blieb
die Union Minière in Standardisierungsfragen einflussreich. 1950 veranstaltete die neu
gegründete Joint Commission on Standards, Units and Constants of Radioactivity ihre
erste Zusammenkunft in Paris. Irène Joliot-Curie erklärte sich bereit, die neuen Hö-
nigschmid-Standards auf mögliche Messfehler hin zu überprüfen. Die Union Minière
lieferte hierfür nicht nur die notwendigen Instrumente.75 Sie stellte auch das radio-
aktive Material für neue internationale Standards her.76
Die bis in die späten 1930er Jahre unangefochtene Kompetenz österreichischer Ra-
dioaktivisten, Standards zu setzen und in Fragen der radioaktiven Nomenklatur mit-
zureden, wurde während des Zweiten Weltkriegs massiv in Frage gestellt. Dabei spiel-
ten mehrere Faktoren zusammen : Im Gegensatz zu den Joliot-Curies in Paris gelang es
am Institut für Radiumforschung nicht, den Kontakt zur belgischen Radiumindustrie
aufrechtzuerhalten, nachdem Meyer vertrieben worden war. Die PTR übernahm de
facto die Funktion des Wiener Instituts, wobei sie sich auf die militärische Machtpo-
72 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 353 : Joliot an Meyer vom 23.1.1948. In der Joint
Commission der IUPAC/IUPAP gingen neben der Internationalen Radiumstandard-Kommission auch
die Internationale Atomkommission (nicht : Atomgewichtskommission !) auf. Vgl. Hahn 1962, 66. Der
ICSU ist der 1931 gegründete internationale Dachverband der wissenschaftlichen Gesellschaften und
wissenschaftlichen Akademien. Er hat seinen Sitz in Paris.
73 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 215 : Meyer an Hevesy vom 9.7.1949.
74 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 277 : Paneth an Meyer vom 22.9.1949.
75 Vgl. MC, Fonds commun Joliot-Curie, JC 3 : À propos des étalons du radium vom April 1957 : Compa-
raisons entre les divers étalons, 1943–1958.
76 Vgl. AR-AGR, UM, 259/1075 : Leemans an Paneth vom 21.5.1950.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369