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An der Peripherie des neuen Netzwerks 271
ren Aufgabenkreis eines modernen kernphysikalischen Instituts möglichst rasch
anzupassen«.185 Einer der Ansprechpartner Ortners war das REM, bei dem er sich
1941 um einen Zuschuss von 40.000 Reichsmark für den lange geplanten Hochspan-
nungsgenerator beworben hatte. Die Akademie in Wien hatte ihm bereits 12.000
Reichsmark zugesagt ; darüber hinaus rechnete Ortner mit einem Betrag in gleicher
Höhe von der Düsseldorfer Helmholtz-Gesellschaft.186 Tatsächlich bewilligte das
REM 1942 die beantragte Summe.187 Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln hätte
das Institut für Radiumforschung allerdings nur eine Anlage mittlerer Größe mit einer
Leistung von 600 Kilovolt beschaffen können.
Ortner verhandelte noch mit dem Ministerium, als das Reichsamt für Wirtschafts-
ausbau (RWA) auf den Plan trat. Das RWA war 1939 aus dem Amt für Deutsche
Roh- und Werkstoffe hervorgegangen und dem Reichswirtschaftsministerium unter-
stellt. Seit Kriegsbeginn war es im Zusammenhang mit der beschleunigten Aufrüstung
für die »vorbereitenden Arbeiten der Forschung und Entwicklung und die Ausfüh-
rungsarbeiten der Planung und Durchführung im einzelnen« zuständig.188 Das Amt
vermittelte als zentrales Verbindungsglied zwischen rüstungsrelevanten Plänen der
deutschen Wehrmacht, der Industrie und verschiedenen wissenschaftlichen Vereini-
gungen.189 Es begann im Verlauf des Jahres 1941, die Leiter der Physikalischen und
Chemischen Institute der Universität Wien zu kontaktieren, um die erforderlichen
Mittel für den Institutsausbau zu ermitteln. Ortner sah die Chance gekommen, statt
eines Generators mittlerer Größe, für den er die notwendigen Gelder bereits gesichert
hatte, ein stärkeres Gerät mit einer Leistung von 900 Kilovolt beziehungsweise sogar
1,2 Millionen Volt zu beschaffen. Er argumentierte gegenüber dem RWA, dass er die
Apparatur für Untersuchungen mit Neutronen verwenden wollte, die auch im Rah-
men des Uranvereins von Interesse sein könnten.190 Eine solche Anlage erforderte
nach Einschätzung Ortners 350.000 Reichsmark, eine Summe, die weit niedriger war
als die Mittel, die andere Wiener Institute beantragt hatten. So lagen dem RWA Kos-
tenkalkulationen des I. Chemischen Instituts in Höhe von 600.000 Reichsmark und
185 ÖStA, AdR, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, K 19/6147 A : Georg Stetter, Antrag
auf Umwandlung der a. o. Professur für Physik (Radiumforschung) in eine o. Professur, undatiert [Ja-
nuar 1943].
186 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 173 : Ortner an Reichserziehungsministerium, un-
datiert [1941].
187 Vgl. ÖStA, AdR, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, K 19/6147 A : Ortner an Kura-
tor vom 3.3.1943.
188 Petzina 1968, 66.
189 Vgl. Flachowsky 2008, 283 ; Hachtmann 2007, 286–292.
190 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 173 : Beilage zum Antrag auf Bewilligung einer
Forschungsbeihilfe von Gustav Ortner an das Reichsamt für Wirtschaftsausbau, undatiert [1941].
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369