Page - 286 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945286
»Die Emulsion V5265 ist ganz hervorragend ! Wenn sich diese Emulsion in dicker Schicht
herstellen lässt, so übertrifft sie nicht nur die Ilford-Platten, sondern sogar meine kühnsten
Hoffnungen. Ja die Agfa ! […] Ich glaube, Herr Professor, bei der bleiben wir. Ich möchte
nun sehr um folgende Ausführungen bitten : Für sämtliche Zwecke dicke Schicht ! […] Ich
brauche eine solche Schicht für einen bestimmten Höhenstrahlversuch, zur Vermeidung von
Streueffekten. […] ich möchte Sie […] sehr bitten, dass ich diese Platten möglichst bald
haben kann ! Anfangs Dezember […] kommt nämlich bei uns ein neues Po-Präparat heraus
u. ich bekomme es für die ganze erste, stärkste Halbwertszeit. […] Wir kämpfen jetzt schon
so lange mit Emulsionsschwierigkeiten, dass sich schon ein sehr ausgiebiges Arbeitspro-
gramm angesammelt hat. […] In unserem Institut haben sich alle sehr gefreut über die
schönen Platten, die ich nächstens im Gauverein zeigen werde.«264
Die neuen Platten kamen bei den Messreihen der Wiener Gruppe für den Uranverein
zum Einsatz.265 Hertha Wambacher gelang es, auf der Basis ihrer Daten eine Formel
zu erstellen, um die Geschwindigkeit der in die Emulsion eintretenden Teilchen zu
berechnen. Für den Uranverein befasste sie sich außerdem mit dem Nachweis verschie-
dener Spaltprodukte und ermittelte, wenngleich mit geringem Erfolg, die Energiever-
teilung der Spaltneutronen.266 Daneben exponierte sie in Höhenstrahlungsversuchen
Platten auf dem Innsbrucker Hausberg Hafelekar.267 1942 verwendete Wambacher
dabei, ähnlich wie ihr Kollege Erwin Schopper in Friedrichshafen, erstmals sogenannte
Emulsionspakete, die sich in den 1950er Jahren als Standardtechnologie in der Höhen-
strahlungsforschung durchsetzten.268
Wambachers kernphysikalische Untersuchungen wurden außerdem durch die schwa-
chen Polonium- beziehungsweise Radiumpräparate, die dabei zum Einsatz kamen er-
schwert. Auch in der Filmfabrik Wolfen wurden die Folgen der Kriegswirtschaft ab 1942
immer spürbarer. Auf politische Weisung hin konzentrierte das Unternehmen seinen
reduzierten Mitarbeiterstab darauf, den Bedarf der militärischen, staatlichen und politi-
schen Organisationen zu decken. Ein Großteil der immer knapper werdenden personel-
len und materiellen Ressourcen floss in die Weiterentwicklung des Agfacolor-Farbfilm-
264 AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Wambacher an Eggert vom
21.11.1940.
265 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Wambacher an Eggert vom
10.10.1942 und 12.1.1943. Siehe zu den Wiener Arbeiten im Einzelnen Galison 1997a, 182–183.
266 Vgl. OOFR, Mappe 19143, Bl. 119–121 : Aussagen von Prof. Dr. Gustav Ortner vom 28.4.1945.
267 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Wambacher an Eggert vom
18.10.1941.
268 Vgl. Joos/Schopper 1958, 334. Powell zufolge nutzte Kinoshita bereits 1910 abziehbare Kernemulsionen,
ohne freilich deren Potenzial zur Aufzeichnung einzelner Spurbahnen quer durch die Schicht zu erken-
nen. Vgl. Powell/Fowler/Perkins 1959, 12.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369