Page - 289 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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An der Peripherie des neuen Netzwerks 289
machtsauftrag mit der Dringlichkeitsstufe SS, wodurch die Emulsionen bevorzugt
produziert werden konnten.284
Im Mai 1944 wurde die Forschungsstelle für Physik der Stratosphäre, die Regener
in Friedrichshafen aufgebaut hatte, durch einen alliierten Bombenangriff weitge-
hend zerstört. Dennoch gingen die Auswertungsarbeiten verschiedener Wolfener
Emulsionen vorerst weiter.285 In Wolfen wurden fast bis Kriegsende Kernspurplat-
ten produziert ; so fertigte die Filmfabrik beispielsweise Ende 1944 auf Anfrage
Heisenbergs stark borhaltige K-Platten.286 Kurz darauf wurde das Fabrikationspro-
gramm wegen akuten Rohstoffmangels drastisch gekürzt. Neben Fliegerfilm wurden
lediglich Klarscheibenfilm für Gasmasken sowie Röntgenfilm produziert. Allerdings
erteilte das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion am 26. März
1945 schließlich doch den Fertigungsbescheid Nr. 1 für fotochemische Erzeugnisse,
der neben den genannten Sorten auch wieder die Produktion von fototechnischem
Film erlaubte.287
Die Wiener Gruppe, in der die Physikerinnen Marietta Blau und Hertha Wamba-
cher in den 1920er und 1930er Jahren Pionierarbeit auf dem Gebiet der Höhenstrah-
lungsforschung geleistet hatten, geriet im Verlauf des Krieges zunehmend ins Abseits.
Auch in Friedrichshafen, Heidelberg und Berlin interessierten sich Mitglieder des
Uranvereins für die Methode, die sie gemeinsam mit dem Forschungslabor der Filmfa-
brik Wolfen weiter entwickelten. Der enge Kontakt zur Fotoindustrie erwies sich als
entscheidend, um im Krieg an Kernspurplatten mit großer Schichtdicke für die Hö-
henstrahlungs- und kernphysikalische Forschung zu gelangen. Obwohl man in Wien
durchaus regen Kontakt mit dem Wolfener Zentrallabor von Agfa/IG Farben pflegte,
zog die Gruppe gegenüber den Friedrichshafener Forschern Regener und Schopper auf
lange Sicht den Kürzeren. Deren Zusammenarbeit mit Agfa reichte bis in die frühen
1930er Jahre zurück, als Blau und Wambacher noch überwiegend mit britischen Ilford-
Platten arbeiteten. Hertha Wambacher konnte den zeitlichen Vorsprung ihrer deut-
schen Kollegen nicht mehr aufholen, als die Filmfabrik während des Krieges zur einzi-
gen Bezugsquelle fotografischer Emulsionen für den Uranverein wurde. In Ermange-
284 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Aktennotiz Besuch Dr. Schopper
am 4. und 6.10.43 in Wolfen vom 26.10.1943 ; ebd., Regener an Walter (IG Farben), Emulsionsversu-
che an der K-Platte vom 28.6.1944. Siehe zur Rangordnung der Dringlichkeiten innerhalb der Fabrik
Gill 2006, 35.
285 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Schopper an Eggert vom 4.5.
und 18.10.1944 ; ebd., Schopper an Ahrens vom 31.5.1944.
286 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Eggert an Heisenberg vom
22.1.1945.
287 Vgl. Gill 2006, 39.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369