Page - 291 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Image of the Page - 291 -
Text of the Page - 291 -
An der Peripherie des neuen Netzwerks 291
von der Neutronenenergie vor.292 Sie konnten zeigen, dass eine Kettenreaktion durch
schnelle Neutronen allein nicht möglich ist.
Josef Schintlmeister, der sich als Mitarbeiter Stetters schon in den 1930er Jahren mit
messtechnischen Problemen befasst hatte, setzte seine Messreihen mit dem Röhrenelek-
trometer fort. Gemeinsam mit Stetter entwickelte er eine Doppel-Ionisationskammer,
mit der α- und Protonenstrahlen auch bei Reichweitengemischen erstmals getrennt
voneinander aufgezeichnet werden konnten. Mittels einer Polonium-α-Strahlungsquelle
und der neuen Doppel-Ionisationskammer untersuchte Schintlmeister die Protonen-
emission, die durch den Beschuss von Kernen leichter Elemente ausgelöst wurde.
Zudem führte er mit einem Röhrenelektrometer Präzisionsmessungen der Strahlung
kurzer Reichweite von Uran, Thorium und Samarium durch. Außerdem versuchte er,
ebenfalls mit einem Röhrenelektrometer, die Fragen zu klären, ob Mesothor 2 α-Strah-
len aussendet, ob es ein Thor-Polonium gibt und welche Reichweite die Strahlung des
Actinurans hat, die zu jener Zeit noch nicht nachgewiesen werden konnte. Im Zuge
seiner Messreihen, die er gemeinsam mit dem Radiochemiker Friedrich Hern
egger
durchführte, stieß er auf einen unbekannten radioaktiven Körper, der α-Strahlen mit
einer Reichweite von zwei Zentimetern aussendete.293 Im Uranverein berichteten
Schintlmeister und Hernegger im Dezember 1940 und im Mai 1941 gemeinsam über
das neue Element, und 1942 referierte Schintlmeister erneut über seine Arbeiten zu
einem 1,8 cm α-Strahler.294 Gemeinsam mit Werner Czulius untersuchte er eine Me-
thode zur Abscheidung radioaktiver Kernbruchstücke von Uran, das mit Neutronen
bombardiert worden war. Seine Methode wurde später in den USA weiter entwickelt.
Aufgrund seiner elektrotechnischen Spezialkenntnisse295 wurde Schintlmeister in den
folgenden Jahren immer stärker in die kriegsrelevante Forschung involviert. Gegen
Ende des Jahres 1944 erhielt er einen Forschungsauftrag der Firma GEMA in Berlin-
Liegnitz, den er gemeinsam mit dem Leiter des I. Chemischen Instituts beziehungs-
weise des Vierjahresplaninstituts für Physikalische Chemie von Stoffgemischen, Lud-
wig Ebert, unter der höchsten Dringlichkeitsstufe DE bearbeitete.296
292 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 56 : HWA an Diebner vom
16.2.1942.
293 Vgl. UAW, PA Josef Schintlmeister, PH PA 3293, Kiste 227, Bl. 13 : Ernennung von Doz. Dr. Josef
Schintlmeister zum apl. Professor, undatiert [Februar 1945].
294 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 56 : HWA an Diebner vom
16.2.1942.
295 Vgl. ADM, Deutsche Berichte zum Atom-Programm 1938–1945, FA 002/0222 : Josef Schintlmeister,
Vorläufiger Bericht über ein neues elektromagnetisches Schnellzählwerk (Versuch gemeinsam mit Maria
Tisljar) vom 28.9.1944.
296 Vgl. OOFR, Mappe 19143, Bl. 66–69 : Aussagen des Doktors Alfred Bönisch vom 1. Physikalischen
Institut der Wiener Universität (deutsch und russisch) vom 4.5.1945 : »Ich habe aber den Eindruck, dass
back to the
book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369