Page - 294 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945294
Hauptaufgaben der Wiener Institute zählte. Bald nach der Entdeckung des Kernspal-
tungsprozesses entwickelte er Pläne für den Bau eines Reaktors. Am 14. Juni 1939
reichte Stetter seine Überlegungen zur technischen Energiegewinnung durch Kernre-
aktionen als Patent beim Reichspatentamt in Berlin ein.307 Der Streit, der sich um das
Patent entwickelte, illustriert eindrucksvoll, wie sich die Macht- und Konkurrenzver-
hältnisse innerhalb des Uranvereins zuungunsten Wiens auswirkten.
Stetter beschrieb in seinem Patent einen heterogenen Reaktortyp, in dem der Uran-
brennstoff und der Moderator zur Vermeidung von Neutronenverlusten voneinander
getrennt sind. Zur Verwendung sollte das reine, zur thermischen Spaltung befähigte
Uranisotop beziehungsweise mit diesem Isotop angereichertes Material kommen.308
Das Patent wurde dem HWA übermittelt und kurz darauf als geheim klassifiziert.309
Grundsätzlich war vorgesehen, Stetter nach der Übernahme des Patents in staatlichen
Besitz entsprechend zu entschädigen. Dazu kam es aber nicht.310 Vielmehr begann im
Sommer 1941 zwischen Karl Wirtz, dem Mitarbeiter am Berliner KWI für Physik,
und Georg Stetter ein Streit um die Wirksamkeit des Patents. Wirtz hatte den
Stetter’schen Patentantrag im Frühjahr 1941 im Auftrag des HWA begutachtet. Er
kritisierte, dass die entworfene Apparatur auf einer Kettenreaktion mit leichten Ele-
menten beruhte, hielt es jedoch für unwahrscheinlich, dass mit diesen Elementen
überhaupt eine Kettenreaktion herbeigeführt werden könnte.311 Außerdem wollte
Wirtz den innovativen Charakter von Stetters Erfindung nicht anerkennen, da das
Prinzip der technischen Nutzung der Kernenergie bereits in der von Siegfried Flügge
1939 publizierten Abhandlung zur Gänze dargestellt worden sei.312 Stetter beharrte
jedoch darauf,
»dass die Anmeldung m. E. doch vielfach über die Flügge-sche Abhandlung hinausgeht, z.B.
durch die Verwendung isotopenreiner oder angereicherter Substanzen und das Prinzip der
307 Das österreichische Patentamt war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelassen.
308 Vgl. UAW, NL Stetter, Sch 312, Inv. 131.410 : Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie
Ges.m.b.H : Unterlagen zur Pressekonferenz vom 10.7.1963, und AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik,
K 55, Fiche 812 : Abschrift der Patentanmeldung von Georg Stetter, Technische Energiegewinnung mit
Hilfe von Kernreaktionen, Wien 1939.
309 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 55, Fiche 812 : G. Stetter betr. Österreichisches Eigentums-
recht an der Erfindung der Uranmaschine vom 23.8.1945.
310 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 55, Fiche 812 : Zweites Physikalisches Institut der Universität
Wien, Österreichisches Eigentumsrecht an der Erfindung der Uranmaschine, Thumersbach bei Zell am
See vom 23.8.1945.
311 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 29 : Wirtz an HWA vom 2.7.1941.
312 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 7 h/Übrig : HWA an Stetter vom
21.7.1941.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369