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an der Spitze – ihrer Doktrin unterwirft, wobei, wie schon Freud bemerkte, die
Unterwerfung durchaus lustvoll sein und in Liebe übergehen kann. Immerhin
winkt als Lohn für die Unterwerfung die ewige Seligkeit.24
Die an einigen Beispielen vorgeführte Ausweitung des Zensurbegriffs auf
Vorgänge der Selektion, Behinderung oder Beschränkung von Textproduktion
und -rezeption inklusive Sprech- und Erziehungsakten macht ihn beinahe bedeu-
tungsleer, auf jeden Fall aber wissenschaftlich weitgehend inoperabel. Wie Bier-
mann zugespitzt, aber mit Recht formuliert, wird bei einer solchen Ausweitung
„,Zensur‘ mit ‚Gesellschaft‘ identisch“.25 Robert Darnton schlägt in dieselbe Ker-
be, wenn er feststellt: „To identify censorship with constraints of all kinds is to
trivialize it.“26 Die vorgeführte Ausweitung ist allenfalls sinnvoll, wenn von der
Einschränkung der Kommunikation in modernen, demokratischen und rechts-
staatlich organisierten Gesellschaften die Rede ist. Auch ein Vertreter des New
Censorship wie Robert C. Post weist in seinen Ausführungen auf den histori-
schen Verlauf hin, der eine „remarkable disintegration of traditional political
alignments“ mit sich brachte und zu dem Eindruck führte, „that the state holds
no monopoly of power“.27
Es ist zweifellos wichtig, im Auge zu behalten, dass Zensur nicht nur in Form
von Verboten und Eingriffen durch eigens für diesen Zweck geschaffene Insti-
tutionen möglich ist, sondern dass die Behinderung und Verzerrung von Aus-
sagen auf vielen Ebenen stattfindet. Die Erforschung der von autoritären Regie-
rungen – wie sie absolute Monarchien im 18. und 19. Jahrhundert darstellten
– durchgesetzten Form von Zensur bedarf aber zweifellos eines ,Old Censor-
ship‘.28 Für diese Form von Zensur entscheidende Faktoren sind „Öffentlichkeits-
relevanz und autoritäre Fremdbestimmung“.29 Anschließen kann man sich auch
24 Siehe Pierre Legendre: L’amour du censeur. Essai sur l’ordre dogmatique. Paris: Éditions du
Seuil 1974.
25 Armin Biermann: ‚Gefährliche Literatur‘ – Skizze einer Theorie der literarischen Zensur. In:
Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 13 (1988), S. 1–28, hier S. 3.
26 Robert Darnton: Censors at Work. How States Shaped Literature. New York, London: Norton
2014, S. 17.
27 Robert
C. Post: Censorship and Silencing. In: Ders. (Hg.): Censorship and Silencing. Practices
of Cultural Regulation. Los Angeles: The Getty Research Institute 1998, S. 1–12, hier S. 1.
28 An mit dem herkömmlichen Zensurbegriff arbeitenden Untersuchungen der letzten Zeit seien
stellvertretend genannt: Herbert
G. Göpfert/Erdmann Weyrauch (Hg.): „Unmoralisch an sich
…“.
Zensur im 18. und 19.
Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 1988; John
A. McCarthy/Werner
von der Ohe (Hg.): Zensur und Kultur zwischen Weimarer Klassik und Weimarer Republik
mit einem Ausblick bis heute. Tübingen: Niemeyer 1995; Beate Müller (Hg.): Zensur im moder-
nen deutschen Kulturraum. Tübingen: Niemeyer 2003; und Beate Müller: Censorship & Cul-
tural Regulation in the Modern Age. Amsterdam: Rodopi 2004.
29 Beate Müller: Über Zensur. Wort, Öffentlichkeit, Macht. Eine Einführung. In: Dies.: Zensur
im modernen deutschen Kulturraum. Tübingen: Niemeyer 2003, S. 1–30, hier S. 6.
1.1. Zur Theorie der Zensurforschung: ,Old‘ oder ,New Censorship‘? 21
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510