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en literarischen Gattungen wie der Roman widmen sich viel weniger ästheti-
schen Gesichtspunkten als der Vermittlung politischer Botschaften. Die Zenso-
ren bemessen sie nach ihrer potentiellen Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit und
negieren damit ihre Autonomie auf doppelte Weise: durch den zensorischen
Zugriff an sich und durch die heteronome Lesart. Die Zustände ähneln jenen,
die Alain Viala für das ,vorautonome‘ Feld der französischen Literatur im 17.
Jahr-
hundert beschreibt. Die Zensur bildet dort „une des formes les plus brutales de
l’hétéronomie, de l’intervention directe du pouvoir d’État et du pouvoir religi-
eux“39 (eine der brutalsten Formen der Heteronomie, des direkten Eingriffs der
staatlichen und religiösen Macht). Vorautonom ist dieses Feld auch insofern, als
der Ausbau der Zensur eine Zunahme der ,Macht‘ und Bedeutung der Literatur
anzeigt, die nun als ernste Herausforderung wahrgenommen wird und die staat-
lichen Autoritäten in Unruhe versetzt. Wenn die Zensur als Reaktion auf Frei-
heiten betrachtet wird, die sich die Literatur herausnimmt,40 so sind dies in ers-
ter Linie Freiheiten, die von den österreichischen Machthabern mit Besorgnis
in anderen Literaturen (vor allem der in den deutschen Staaten produzierten
und der französischen) beobachtet werden.
Die Etablierung eines Feldes setzt die Existenz von Autoren voraus, genauer
gesagt der Autorfunktion im Sinne Foucaults. Insbesondere ist die Zuschreibung
von Texten zu dafür verantwortlichen Autoren auch eine Notwendigkeit effizi-
enter Zensur. Die österreichische Polizei war stets interessiert, im Fall von pseu-
do- oder anonym erschienenen Schriften Autoren namhaft zu machen, um sie
– je nachdem, ob es sich um österreichische oder ausländische Bürger handelte
– verfolgen oder bei ihren Regierungen denunzieren und auf diesem Wege der
Verfolgung anheim stellen zu können. Im Fall anonymer Texte fehlte der Hebel,
um die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und zukünftige ,häretische‘
des theresianischen Zeitalters. (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung
des achtzehnten Jahrhunderts 17). Wien: WUV-Universitäts-Verlag 2002, S. 45–70; auf die
Zensur bezogen zusätzlich Ders.: Von „eingeschränkt und erzbigott“ bis „ziemlich inquisiti-
onsmäßig“. Die Rolle der Zensur im Wiener literarischen Feld des 18. Jahrhunderts. In: Wil-
helm Haefs/York-Gothart Mix (Hg.): Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte –
Theorie – Praxis. Göttingen: Wallstein 2007, S. 305–330.
39 Alain Viala: Naissance de l’écrivain. Sociologie de la littérature à l’âge classique. Paris: Les édi-
tions de minuit 1985, S. 115.
40 „[...] l’instauration d’une censure organisée apparaît comme un indice supplémentaire de la
formation du champ littéraire: l’extension et l’autonomisation croissante de celui-ci ont suscité
là aussi, en réaction, un renforcement des contraintes imposées par les autorités politiques et
religieuses.“ (Viala: Naissance de l’écrivain, S.
122; Die Einrichtung einer organisierten Zensur
ist ein zusätzliches Indiz für das Entstehen des literarischen Feldes: Die zunehmende Auswei-
tung und Autonomisierung desselben haben auch hier, als Reaktion, eine Verstärkung der von
der politischen und religiösen Obrigkeit auferlegten Zwänge bewirkt. – Übersetzung vom Ver-
fasser, N. B.) 251.2.
Der historisch-soziologische Zensurbegriff
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510