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Fällen unter der Aegide des Magistrates selbst im Besitze des namhaftesten Lagers
verbotener Bücher nur dafür zu sorgen braucht, daß ihr Verkauf nicht zu deut-
lich vorgemerkt erscheine.“
Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich. Der Wiener Magistrat, in Person
des Bürgermeisters Ignatz Czapka, zeigte keinerlei Eifer, Gerold zu bestrafen.
Der mit der Angelegenheit beschäftigte Senat stellte sich mit 13 zu 9 Stimmen
auf den Standpunkt, dass „ein Buchhändler und wenn er selbst ein Lager von
blos verbothenen Büchern halten sollte, so lange nicht gestraft werden könnte,
bis nicht der Beweis wirklich vorliegt, ob er auch ein Buch verkauft hat“.134 Dabei
blieb es trotz Protesten des Niederösterreichischen Landespräsidiums,135 Polizei
und Landesregierung hatten wieder einmal gegen einen Buchhändler den Kür-
zeren gezogen.
Dass es nicht einfach war, Buchhändler wegen Besitzes bzw. Handels mit ver-
botenen Büchern zu verurteilen, belegt auch der Fall der Buchhandlung Santini
in Venedig, bei der im Juni 1837 ca. 100 Bände verbotener Bücher gefunden
wurden. Unter den beschlagnahmten Werken fanden sich verschiedene histori-
sche Werke sowie Boccaccios Decameron und zeitgenössische Romane von Vic-
tor Hugo, George Sand, Honoré de Balzac, Alphonse de Lamartine, Edward Bul-
wer-Lytton und einigen anderen. Die Werke waren von der Buchhandlung
Rusconi aus Padua nach Venedig geliefert worden, wo die Polizei im Juli elf wei-
tere verbotene Werke beschlagnahmte. In der Untersuchung des Falles stellte
sich heraus, dass der lokale Zensor, der auch die Aufgaben eines Bücherrevisors
erfüllte, die verbotenen Werke für die Buchhandlung freigegeben hatte, weil er
sie – wie er zunächst angab – in der großen Menge der zu bearbeitenden, aus
dem Ausland eingelangten Bücher übersehen hatte. Er erinnerte sich aber, dass
er ein Paket aus Brüssel an den vertrauenswürdig erscheinenden Rusconi mit
der Auflage ausgefolgt habe, die verbotenen Bücher an den Absender zurück-
zuschicken. Rusconi gab dagegen an, dass die Auflage des Zensors darin bestand,
die Bücher mit Umsicht („con circospezione“) zu verkaufen.136 Rusconi wurde
jedenfalls freigesprochen, weil die Anweisungen des Zensors nicht eindeutig
waren, kein Termin für die Rücksendung vorgeschrieben wurde und weil der
Buchhändler zudem nicht im Besitz des Katalogs verbotener Bücher war, der
eine Überprüfung ermöglicht hätte.137
Wenn Polizeiaktionen wie die gegen Gerold und Rusconi auch ohne direkte
Folgen blieben, so gaben sie doch zuweilen Aufschlüsse über die Schliche und
134 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Präsidiumsakten, 377/1844 vom 4.3.1844.
135 Ebd., 549/1844 vom 29.3.1844.
136 Zitiert in Marco Callegari: Produzione e commercio librario nel Veneto durante il periodo del-
la Restaurazione (1815–1848). Tesi di Dottorato, Università degli Studi di Udine 2013, S. 344.
137 Zu dem Fall insgesamt vgl. ebd., S. 343–345. 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 137
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510