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Urteil wie „abergläubisch“, „nicht im Sinne der katholischen Theologie“ etc. ver-
bunden sind. Interessant ist einerseits die Tendenz der Zensur, explizite inter-
konfessionelle Polemiken (sowohl von protestantischer als auch katholischer
Seite) zu mildern, andererseits fallen die häufigen Passagen auf, in denen sich
der Zensor zur Sprache des Werks äußert. Obwohl damals weder das Tschechi-
sche noch das Deutsche auf allgemein anerkannte Orthographieregeln zurück-
greifen konnte, bildeten die sprachlichen Mängel nicht selten einen (zusätzli-
chen) Grund für das Verbot. „Ist nicht zulässig, denn es ist nicht einmal böhmisch“,
schrieb Zeidler am 10.
April 1823 über das von dem Prager Buchdrucker Jeřábek
zur Zensur eingereichte Lied Pobožná písen k svaté Ludmile (Andächtiges Lied
zur heiligen Ludmila). „Ist vorläufig von einem der deutschen Sprache kundi-
gen Manne genau durchzusehen und von den vielen Sprachfehlern zu reinigen,
dann eben abermals vorzulegen“, ordnete Zeidler am 10.3.1825 bei der Beurtei-
lung der Schrift Andachtsbüchel für Katholiken, welche das 26jährige Jubiläum
in ihrem Orte feyern wollen von Tomáš Kubelka an. Zeidler richtete sich in bei-
den Sprachen gegen veraltete, fremde oder dialektale Ausdrücke.55
Die angedeuteten sprachlichen Kriterien bei der Beurteilung der einzelnen
Werke betrafen nicht nur die Orthographie oder Lexik an sich, sondern auch
die „Brauchbarkeit“ bzw. „Benutzbarkeit“ des Werkes für die jeweiligen Leser.
So wurde – aufgrund der herrschenden Diglossie in Böhmen, wo der Schulun-
terricht auf der mittleren und höheren Ebene lediglich auf Deutsch erteilt wur-
de – das Tschechische mit einem „gemeinen“, unerfahrenen Leser assoziiert, was
in einzelnen Fällen eine strengere Beurteilung der auf Tschechisch geschriebe-
nen Werke nach sich zog.56 Die ungleiche Stellung des Tschechischen und des
Deutschen wird unter anderem in der Vorschrift für die Zensurierung der tsche-
chischen politischen Zeitungen deutlich:
Viele Artikel, die in der Wiener Hofzeitung, im österr. Beobachter, und aus diesen
auch in der Prager deutschen Zeitung aufgenommen erscheinen, eignen sich deshalb
noch nicht für das großentheils aus Wirthschaftsbeamten, Dorfgeistlichen, Schulleh-
ren, Dorfrichtern, Gewerbsleuten und Bauern bestehende Publikum der böhmischen
Zeitungen, welches diese Artikel nur halb versteht und, wie einige Beobachtungen
bestätigen, zum Theil ganz misdeutet. […] Hier darf selbst nicht aus den inländischen
censurirten Zeitungen geradezu übersetzt werden, sondern der Censor muß mit
55 Vgl. zum Beispiel: „Außer einer bedeutenden Anzahl unverständlicher Wörter, die, wenn sie
nicht aus der Werkstätte des Verfassers herrühren, doch vielleicht nur in seiner Gegend üblich
sind, findet sich nichts zu erinnern […].“ Gutachten Zeidlers über den vierten Teil von Václav
Vilém Václavíčeks Biblické kázání (Biblische Predigt), 26.2.1825.
56 Vgl. zum Beispiel das Gutachten des Prager Landespräsidiums über das Werk Praxis Pietatis
von Jan Amos Komenský (Comenius): Dieses protestantische Werk sollte verboten werden,
weil „die in diesem Andachtsbuche vorkommenden Grundsätze von verderblicher Tendenz
4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer:Das Königreich Böhmen (1750–1848) 213
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510