Page - 27 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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zen59 aber zum Teil ausblendeten : So postuliert der Kommunismus die klassen-
lose, auf SolidaritÀt beruhende Gesellschaftsordnung, wÀhrend der Faschismus
die Naturnotwendigkeit von Herrschaft und Unterordnung propagiert sowie
den ewigen Kampf der Völker bzw. der »Rassen« ums Dasein und das Recht des
StÀrkeren als Lebensprinzip. Die »Totalitarismustheorien« zÀhlten daher in den
1980er Jahren zum »GerĂŒmpel des Kalten Kriegs«60 und wurden in dieser Phase
aus der historischen Forschung fast zur GĂ€nze verbannt. In der heutigen His-
toriografie sind Totalitarismusmodelle wieder möglich, sofern sie vergleichend
und nicht gleichsetzend vorgehen. Sie sind unter anderem in den theoretischen
AnsÀtzen zur »Politischen Religion«61 des »Fascismo«-Experten Emilio Gentile
zu finden.62
In FortfĂŒhrung der Thesen Noltes beschrieb der deutsche Historiker Wolf-
gang Wippermann63, der auf zahlreiche einschlĂ€gige Publikationen zurĂŒckbli-
cken kann, den »Fascismo« in Italien als »faschistischen Realtypus«64 : Jene Par-
teien und Bewegungen, die im Hinblick auf Erscheinungsbild, politischen Stil,
ideologische Ausrichtung, soziale Funktion, Art und Weise der Machtergreifung
sowie die Struktur ihrer Regime bedeutende Ăhnlichkeiten mit dem italieni-
schen Faschismus aufweisen, seien demnach als »faschistisch« zu bezeichnen.65
»Diese Parteien waren hierarchisch nach dem FĂŒhrerprinzip gegliedert, verfĂŒgten
ĂŒber uniformierte und bewaffnete Abteilungen und wandten einen damals neuartigen
spezifischen politischen Stil an, den man auf Massenkundgebungen und auf Massen-
aufmÀrschen zelebrierte, wobei der jugendliche und vor allem mÀnnliche Charakter
der einzelnen âșfaschistischenâč Parteien betont wurde. Hinzu kam eine ausgesprochene
pseudoreligiöse Ausrichtung. ⊠Doch im Mittelpunkt sowohl der Propaganda wie der
Politik stand die Gewalt. Sie wurde in offener und ritualisierter Form gegen âșFeindeâč
und âșFremdeâč gleichermaĂen eingesetzt, was AuĂenstehende sowohl abschreckte wie
anzog und im Innern den Zusammenhalt der Parteimitglieder festigte.«66
Erstaunlich Àhnlich und in Verklammerung mit anderen Modellen finden sich
Wippermanns theoretische Charakterisierungen in literarisierter Form in di-
59 Vgl. KĂŒhnl, Faschismustheorien, S. 137.
60 Gentile, Eine Definition zur Orientierung, S. 81.
61 Siehe dazu Gentile, Le religioni della politica. Liegt auch in englischer Ăbersetzung vor : Gen-
tile, Politics as Religion.
62 Vgl. Gentile, Eine Definition zur Orientierung, S. 81.
63 Wippermann hatte in den 1970er Jahren bei Nolte promoviert.
64 Vgl. Wippermann, Hat es Faschismus ĂŒberhaupt gegeben, S. 56.
65 Vgl. ebd., S. 64.
66 Vgl. ebd. 27
Diskussion der zentralen Begriffeâ |
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319