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treter der frühen generischen Theorie – warnt inzwischen vor dem »inflationä-
re[n] Gebrauch«96 dieser Kategorie, da die organisatorische und institutionelle
Dimension des Faschismus dabei nachrangig behandelt werden : Nur zusammen
mit der ideologischen Dimension sei es möglich, die historischen Wirklich-
keiten des Faschismus zu beschreiben, so der italienische Faschismusexperte.
Griffins Ansatz wirkt im Lichte dieser kollegialen Kritik vereinfachend und
altmodisch. Nichtdestotrotz hält Gentile die Erkenntnis, dass der Faschismus
eine eigene Ideologie und Kultur gehabt habe, fĂĽr eine der wichtigsten Errun-
genschaften der jĂĽngeren Geschichtswissenschaft.97
Um das Problem der inkohärenten ideologischen Ausrichtung und politi-
schen Praxis in den Griff zu bekommen, erweiterte der an der Universität Bath
lehrende Politologe Roger Eatwell den Begriff des »faschistischen Minimums«
um den der »faschistischen Matrix« : Demnach sei es gerade die Stellung zwi-
schen klassischer Linker und klassischer Rechter gewesen, die den Faschismus
charakterisiert habe, etwa »seine Mischung aus rechtem Vitalismus und Wil-
lenskult einerseits und einer eher linken Bindung an Wissenschaftlichkeit, zwi-
schen dem rechten Einstehen fĂĽr private Eigentumsrechte und den eher linken
Formen von öffentlicher Wohlfahrt«98. Die neue politische Elite habe es sich
zum Ziel gesetzt, einen synkretistischen »Dritten Weg« zu kreieren, der die
Massen mobilisieren sollte :
»Fascist ideology is … a form of thought which preaches the need for social rebirth in
order to forge a holistic-national radical Third Way.«99
Tatsächlich strömten Menschen aus verschiedenen soziokulturellen Zusammen-
hängen und aus verschiedenen Motiven heraus faschistischen Bewegungen zu.100
Eine Weiterentwicklung dieser – immer noch ideologiezentrierten – Inter-
pretation leistete der in Cardiff lehrende Historiker Kevin Passmore. Ihm zu-
folge werde der Faschismus gerade durch die ihm inhärenten paradoxen Struk-
turen charakterisiert :
»Yet how can we make sense of an ideology that appeals to skinheads and intellectu-
als ; denounces the bourgeoisie while forming alliances with conservatives ; adopts a
macho style yet attracts many women ; calls for a return to tradition and is fascinated
96 Gentile, Eine Definition zur Orientierung, S. 85.
97 Vgl. Gentile, Eine Definition zur Orientierung, S. 86 f.
98 Reichardt, Neue Wege, S. 17.
99 Eatwell, Fascism, S. 11.
100 Vgl. Reichardt, Neue Wege, S. 17.
32 | Einleitung
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319