Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Page - 97 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 97 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

Image of the Page - 97 -

Image of the Page - 97 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

Text of the Page - 97 -

Gestapo-Beamte, politische FunktionĂ€re und Leiter der Bauarbeiten am SĂŒdostwall waren unter den GĂ€sten. 200  kranke jĂŒdische Gefangene waren bei einem Transport auf dem Bahnhof von Rechnitz zurĂŒckgelassen worden, was dem örtlichen Gestapo-Beamten Franz Podezin wĂ€hrend des Fests telefonisch mitgeteilt wurde. Podezin ließ eine Lehrerin und einige VolkssturmmĂ€nner ins Nebenzimmer rufen und gab ihnen Waffen und Munition. Dann brach die Gruppe auf, um den »Störfaktor« zu beseitigen. 170 der gefangenen Juden sol- len sofort, die weiteren 30, die als TotengrĂ€ber ausgesondert worden waren, am nĂ€chsten Morgen mit GenickschĂŒssen getötet worden sein. Die Leichen wur- den zum Teil nur notdĂŒrftig vergraben. Sie lagen in ein bis zwei Meter tiefen Gruben in der NĂ€he des Tatortes, zum Teil aber auch auf dem Hauptplatz von Rechnitz, mitten im Ort. Nach den Morden soll die Gruppe um Podezin ins Schloss zurĂŒckgekehrt und weiter gefeiert haben.541 Jelinek lĂ€sst in ihrem StĂŒck Boten auftreten, die von diesen Geschehnissen berichten. Alle Schilderungen und Bewertungen der GrĂ€ueltaten passieren also nur mittelbar, ĂŒber die Sprache und ErzĂ€hlweise der jeweiligen Boten. Wiede- rum stellt die Autorin nicht die Geschehnisse an sich in den Mittelpunkt ihres Texts, sondern vielmehr das Sprechen darĂŒber, denn die Sprache soll ja »spre- chen gehen«542. Die lĂŒckenhafte Erinnerungskultur der Zweiten Republik gewĂ€hrleistet die scheinbare LegitimitĂ€t rechtspopulistischer und deutschnationaler Äußerungs- formen in einer vermeintlich demokratischen Gesellschaft. Mit der konsequen- ten Destruktion des Opfermythos bezweckt Jelineks Literatur nicht, den Terror der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wiederzugeben oder Schuldige zu brandmarken. Es geht vielmehr darum, dass  – mit vielen Jahrzehnten Abstand, gestĂŒtzt auf umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitungen und begĂŒnstigt durch das Nachwachsen historisch unbelasteter Generationen  – endlich eine angemessene Art und Weise gefunden werden muss, mit der ĂŒber Österreichs Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Zweiten Welt- kriegs im öffentlichen Raum gesprochen wird, die frei ist von Leugnung und routiniertem Bedauern. In Elfriede Jelineks Literatur stehen immer die Sprache und die Art und Weise der Sprachverwendung im Mittelpunkt, wie der Regisseur Jossi Wieler treffend ĂŒber das »Rechnitz«-StĂŒck bemerkte : Rechnitz. In dieser historischen Aufarbeitung enthalten ist auch ein kurzer Essay von Elfriede Jelinek (»Im Zweifelsfall«, S.  1–4). Zu den Geschehnissen und der blinden Nachkriegsjustiz vgl. außerdem Butterweck, Verurteilt und begnadigt, S.  210–216. 541 Vgl. Butterweck, S 212  f. 542 Jelinek, Lust, S.  28. 97 Poetologische EinfĂŒhrung  |
back to the  book Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung"
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek