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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Gestapo-Beamte, politische Funktionäre und Leiter der Bauarbeiten am Südostwall waren unter den Gästen. 200  kranke jüdische Gefangene waren bei einem Transport auf dem Bahnhof von Rechnitz zurückgelassen worden, was dem örtlichen Gestapo-Beamten Franz Podezin während des Fests telefonisch mitgeteilt wurde. Podezin ließ eine Lehrerin und einige Volkssturmmänner ins Nebenzimmer rufen und gab ihnen Waffen und Munition. Dann brach die Gruppe auf, um den »Störfaktor« zu beseitigen. 170 der gefangenen Juden sol- len sofort, die weiteren 30, die als Totengräber ausgesondert worden waren, am nächsten Morgen mit Genickschüssen getötet worden sein. Die Leichen wur- den zum Teil nur notdürftig vergraben. Sie lagen in ein bis zwei Meter tiefen Gruben in der Nähe des Tatortes, zum Teil aber auch auf dem Hauptplatz von Rechnitz, mitten im Ort. Nach den Morden soll die Gruppe um Podezin ins Schloss zurückgekehrt und weiter gefeiert haben.541 Jelinek lässt in ihrem Stück Boten auftreten, die von diesen Geschehnissen berichten. Alle Schilderungen und Bewertungen der Gräueltaten passieren also nur mittelbar, über die Sprache und Erzählweise der jeweiligen Boten. Wiede- rum stellt die Autorin nicht die Geschehnisse an sich in den Mittelpunkt ihres Texts, sondern vielmehr das Sprechen darüber, denn die Sprache soll ja »spre- chen gehen«542. Die lückenhafte Erinnerungskultur der Zweiten Republik gewährleistet die scheinbare Legitimität rechtspopulistischer und deutschnationaler Äußerungs- formen in einer vermeintlich demokratischen Gesellschaft. Mit der konsequen- ten Destruktion des Opfermythos bezweckt Jelineks Literatur nicht, den Terror der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wiederzugeben oder Schuldige zu brandmarken. Es geht vielmehr darum, dass  – mit vielen Jahrzehnten Abstand, gestützt auf umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitungen und begünstigt durch das Nachwachsen historisch unbelasteter Generationen  – endlich eine angemessene Art und Weise gefunden werden muss, mit der über Österreichs Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Zweiten Welt- kriegs im öffentlichen Raum gesprochen wird, die frei ist von Leugnung und routiniertem Bedauern. In Elfriede Jelineks Literatur stehen immer die Sprache und die Art und Weise der Sprachverwendung im Mittelpunkt, wie der Regisseur Jossi Wieler treffend über das »Rechnitz«-Stück bemerkte : Rechnitz. In dieser historischen Aufarbeitung enthalten ist auch ein kurzer Essay von Elfriede Jelinek (»Im Zweifelsfall«, S.  1–4). Zu den Geschehnissen und der blinden Nachkriegsjustiz vgl. außerdem Butterweck, Verurteilt und begnadigt, S.  210–216. 541 Vgl. Butterweck, S 212  f. 542 Jelinek, Lust, S.  28. 97 Poetologische Einführung  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Titel
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Untertitel
Eine historiografische Untersuchung
Autor
Sylvia Paulischin-Hovdar
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
328
Schlagwörter
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : Annäherung an eine »synthetische Künstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische Einführung 67
      1. 1.6.1 Jelineks ästhetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur Intertextualität 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. Resümee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 Interdisziplinäre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 Primärliteratur 300
      2. 6.1.2 Sekundär- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-Beiträge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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