Seite - 23 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 23 -
Text der Seite - 23 -
und Manipulation im Alltagsleben der deutschen und österreichischen Bevöl-
kerung ihren Niederschlag fand. Dabei umschreibt Jelinek diesen ubiquitären
Faschismus in all seinen Facetten und schreibt ihn in ihre literarischen Texte ein
(»Success in Circuit lies«32).
Auf diese Weise wird der Faschismus in seinen historischen, aber auch aktu-
ellen Ausprägungsformen zum zentralen Gegenstand in ihrem Werk, und zwar
nicht nur als Thema, sondern auch als Fixpunkt ihrer literarischen Verfahrens-
weisen.33 Dass diese eng mit Jelineks früher Rezeption von Roland Barthes’ My-
thentheorien zusammenhängen und welche österreichspezifischen Problemati-
ken in der weiteren Auseinandersetzung besondere Beachtung finden müssen,
wird im Anschluss in den Kapiteln über »Mythos« und »Opfermythos« erläutert.
1.4.1 »Faschismus«
»Yes, everything does depend on definition,
but this should not be a reason for abandoning
the concept.«34
Das originäre Problem an dem viel diskutierten »Faschismus«-Begriff ist, dass er
von Anfang an mehrdeutige und vereinnahmende Verwendung fand. So wurde
sowohl im öffentlichen wie auch im wissenschaftlichen Diskurs »keineswegs
immer und keineswegs eindeutig genug«35 zwischen »Faschismus« als linkem
Kampfbegriff, als Spezifikum italienischer Geschichte und als epochaler Er-
scheinung unterschieden.36 Der Begriff »Faschist« wurde mitunter »so lax ge-
braucht, dass mancher dafür plädierte, ihn für die wissenschaftliche Forschung
überhaupt aufzugeben«37.
Zu berücksichtigen ist daher stets, dass die historischen wie auch aktuellen
Definitionen und Theorien immer bis zu einem gewissen Grad die unterschied-
lichen wissenschaftlichen, aber auch politischen Standpunkte ihrer Verfasser
widerspiegeln, wenngleich neuere Theorien differenzierter und weniger verein-
nahmend zu sein scheinen als jene vorangegangener Konjunkturen der Faschis-
musforschung in den 1920er bis 1940er und den 1960er bis 1970er Jahren.38
32 Dickinson, Gedichte, S. 410. Vgl. das lyrische Motto dieser Studie.
33 Vgl. Janz, »Die Geschichte hat sich nach 45 entschlossen«, S. 225.
34 Passmore, Fascism, S.12.
35 Wippermann, Faschismustheorien, S. 4.
36 Vgl. ebd.
37 Paxton, Die fünf Stadien des Faschismus, S. 64.
38 Zur Periodisierung vgl. Reichardt, Neue Wege, S. 9. 23
Diskussion der zentralen Begriffe |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319