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immer noch kein hinreichendes Unrechtsbewusstsein, was an der unzulängli-
chen Sprachverwendung über den Holocaust abgelesen werden kann. Aber auch
»wenn einer die Schuld nicht mehr aushält«, denn das sei ja »normal«838 : Es ist
geschehen, es muss zur Kenntnis genommen und es muss in dieser Deutlichkeit
ausgesprochen werden. Die »Bilanz über Schuld und Unschuld«839, die in »Die
Kinder der Toten« gezogen wird, ist eindeutig.
Kann Jelineks Opus Magnum also tatsächlich als »gigantisches Leerstück«840
bezeichnet werden, wie die Rezensentin Iris Radisch behauptet ? Nein, mit Si-
cherheit nicht. Aber der Text setzt »ein Wissen voraus, dessen Verdrängung er
behauptet«841. Das Wissen um zeithistorische Zusammenhänge und die Kom-
petenz, dieses auch in den Lektürevorgang miteinzubeziehen, sind Grundvo-
raussetzungen für ein positives Leseerlebnis (»Tell all the Truth – / but tell it
slant/ Success in Circuit lies…«842). Der Ruf der Unlesbarkeit tut dem Roman
also unrecht, auch wenn er in der Tat »verdammt schwer«843 zu bewältigen ist.
Was am Ende bleibt, ist das Unheimliche – das Damoklesschwert der Schuld
und der in Aussicht gestellten Sühne.
3.3 »Das Lebewohl«
»Ein Meisterstück literarischer Rhetorik …«844
3.3.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur
»Der Theatermonolog ›Das Lebewohl‹
zeigt deutlich, warum Elfriede Jelinek den
Freiheitlichen ein Dorn im Auge ist.«845
Jelineks kleines Drama »Das Lebewohl« ist bis dato ein weitgehend unbeacker-
tes Feld literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzung. Dabei ist der Text, wie
Wendelin Schmidt-Dengler bemerkte, ein »Meisterstück literarischer Rheto-
838 KDT, S. 457.
839 Kastberger, Endspiele, unpaginiert.
840 Radisch, Maxima Moralia, unpaginiert.
841 Pontzen, Pietätlose Rezeption, S. 64.
842 Dickinson, Gedichte, S. 410. Vgl. das lyrische Motto dieser Studie.
843 Löffler, Am Eingang zur Unterwelt, unpaginiert.
844 Wendelin Schmidt-Dengler über »Das Lebewohl« ; zitiert nach : profil, Nr. 42, 2004, S. 128.
845 Zauner, Das Lebewohl, unpaginiert. 247
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319