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erstmals gespielt wurde das Stück in Österreich endlich ein Vierteljahrhundert
nach seiner Entstehung : 2005 im Grazer »Theater im Bahnhof«, obwohl der
Rowohlt Theater Verlag die von ihm verlegten Stücke normalerweise keinen
Off-Bühnen überlässt. Da aber kein anderes österreichisches Theater dieses
Stück der inzwischen mit dem Nobelpreis gekürten Schriftstellerin zeigen
wollte, bekam das kleine »Theater im Bahnhof« ausnahmsweise die Möglichkeit
dazu.278
Die Erstaufführung von »Burg theater« an einer großen österreichischen
Bühne oder im Rahmen einer kulturellen Großveranstaltung steht nach wie vor
aus. Der Grund dafür ist leicht zu erraten : Jelinek wählte sich zur Auseinander-
setzung in diesem Stück »nichts weniger als ›österreichische Institutionen‹ aus«,
so Hochholdinger-Reiterer :
»… das Burg theater als das Synonym für Repräsentationskunst, kulturellen Wiederauf-
bau und kulturelle Identität, weiters Österreichs Ersatz für religiöse und monarchisti-
sche Bedürfnisse, seine legendäre Schauspielerverehrung, und die in Gestalt österrei-
chischer Publikumslieblinge noch potenzierte ›Opferthese‹ als eines der wesentlichen
Fundamente der Zweiten Republik.«279
Freilich war der Skandal vorprogrammiert. Dass er stattfand, obwohl das Stück
in Österreich nicht aufgeführt wurde, ist dennoch beachtlich. »Burg theater« ist
zweifelsohne einer von Jelineks stärksten Theatertexten. Dass das Stück in Ös-
terreich bisher noch nie auf einer großen Bühne gezeigt wurde, ist der eigentli-
che Skandal, denn es tut sich der Verdacht auf, dass jede weitere Diskussion um
das in dem Stück bearbeitete Sujet dadurch vermieden werden soll.
3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos
»Das, was ich kritisiere, ist immer die Sprache, so
kritisiere ich im Burg theater nur sehr am Rande
die Personen, die mich im Grund überhaupt
nicht interessieren.«280
Jelinek betont immer wieder, auch in anderen Zusammenhängen, dass es nicht
ihr Anspruch sei, mit ihren Theaterfiguren Realpersonen abzubilden oder Figu-
ren zu erfinden, die real sein könnten. »Ich vergrößere (oder reduziere) meine
278 Ebd.
279 Ebd., S. 47.
280 Jelinek, zitiert nach : Winter, Gespräch mit Elfriede Jelinek, S. 13.
158 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319