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Werbeslogans, Boulevardblättern oder Comics. Aus der Textsoziologie kam
daher der Vorschlag, zwischen »interner« (inner-literarischer) und »externer«
(nicht-literarischer) Intertextualität zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist
allerdings nur dann aufrechtzuerhalten, wenn von der These ausgegangen wird,
dass literarische und nicht-literarische Texte einen anderen Sprachgebrauch
pflegen.17
Über die bereits genannten Möglichkeiten hinaus kann Intertextualität auch
ĂĽber Relationen zu literarischen Gattungen oder poetischen Traditionen er-
reicht werden. Ebenso ist die Bezugnahme ĂĽber Stoffe, Themen, Motive und
Figurentypen möglich.18 All die genannten Formen öffnen den Ausgangstext
für einen »kulturellen Gesamttext«, so Sabine Becker, »den literarischen Diskurs,
der ihm selbst vorausgeht und als dessen Teil er nun selbst betrachtet werden
kann. Der einzelne Text ist damit Bestandteil der kulturellen Sinnproduktion.«19
In den poststrukturalistischen Theorien20 wird der Ausgangstext schlieĂźlich
als ein nach allen Seiten hin offenes Zeichensystem betrachtet, das ĂĽber sich
hinaus und auf andere Zeichen, Texte und Zusammenhänge verweist.21 »Es gibt
keine Aussage ohne eine intertextuelle Dimension«22, behauptet Tzvetan Todo-
rov und geht damit (wohl absichtlich) ĂĽber Textsorten hinweg, fĂĽr die Aussagen
mit intertextuellen BezĂĽgen jedenfalls nicht typisch sind, etwa Gebrauchstex-
te.23 Es gibt aber wohl tatsächlich kaum einen literarischen Text ohne inter-
textuelle Dimension. Die Rezeption eines Texts ist, diesen Annahmen folgend,
als aktiver und kreativer Akt zu verstehen. Der in diesem Zusammenhang von
Roland Barthes 1968 diagnostizierte »Tod des Autors«24 bringt wiederum eine
»Geburt des Lesers« mit sich : Nur diesen sieht BarthesÂ
– in Vorwegnahme einer
der grundlegenden Vorstellungen der Rezeptionsästhetik – dazu in der Lage,
die Bedeutungsvielfalt von Texten durch den kreativen Akt des Lesens zu ent-
falten.25
Kristeva überträgt die poststrukturalistische Idee vom Verweisungscharakter
des Zeichens auf die Textebene und bezieht darĂĽber hinaus den Bereich der
Kultur sowie soziale Strukturen und gesellschaftliche Phänomene in ihre Über-
legungen zur Textrezeption ein. Ihr Modell integriert Michel Foucaults Dis-
17 Vgl. Zima, Das literarische Subjekt, S. 188.
18 Vgl. Becker, Literatur- und Kulturwissenschaften, S. 139 f.
19 Ebd., S. 140
20 Neben Julia Kristeva ist als deren bekanntester Vertreter Jacques Derrida zu nennen.
21 Ebd., S.139Â f.
22 Zitiert nach : Zima, Das literarische Subjekt, S. 187.
23 Vgl. ebd.
24 Barthes, Roland : Der Tod des Autors.
25 Vgl. Becker, Literatur- und Kulturwissenschaften, S. 143.
102 | Methodische Reflexion
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319