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als allein schuldige fĂŒr den Nationalsozialismus ausgemacht wird128, destruiert
diese jedoch gleichzeitig, denn ĂŒber Figuren wie Istvan wird deutlich gemacht,
dass die jeweilige FĂŒhrerperson nur erfolgreich sein kann, wenn viele Einzelne
(die »Vielen«129) ihren Vorgaben folgen oder sich jedenfalls nicht widersetzen.
Insofern ist auch Istvan in das von Fromm beschriebene Muster des »au-
toritÀren Charakters« einzureihen, wenn auch eine Stufe unter Schorsch : Er
(Istvan) bewundert gleichermaĂen die AutoritĂ€t (Schorsch), wie er danach
strebt, sich ihr zu unterwerfen.130 Die Unterwerfung unter die AutoritÀt bedeu-
tet gleichzeitig die (willkĂŒrliche) MachtausĂŒbung ĂŒber andere, schwĂ€chere Ket-
ten des Glieds (etwa KÀthe, Resi, den Alpenkönig) wie auch das Abgeben
von Verantwortung. 131
Im zweiten Teil des StĂŒcks, als der Untergang des Nationalsozialismus
bereits besiegelt ist und die Rote Armee vor den Toren Wiens steht, verlÀsst
sich Istvan wiederum auf Schorsch und dessen SpĂŒrsinn, gibt also sogar in
dieser Situation, in der das eigene Leben gefÀhrdet ist, die Verantwortung ab :
»Der Schorschi wird uns als der ollernaicheste Patriot bei die Russen scho aus-
sihaun !«132, beschwört er KÀthe, die aus Angst vor der nahenden Besatzung
halbherzige Selbstmordversuche unternimmt.
So wie Schorsch Verantwortung externalisiert, indem er sein Unrechtsbe-
wusstsein mit PflichterfĂŒllung fĂŒrs Regime rechtfertigt, externalisiert Istvan
seinerseits Verantwortung, indem er sie an Schorsch, das nÀchsthöhere Glied
der familieninternen Hierarchie, abgibt â ein Verhaltensmuster, wie es in den
Opfermythostheorien in gröĂerem MaĂstab beschrieben wird. Vor sich selbst
rechtfertigt er seine MitlÀuferschaft, die er nun, im Angesicht der militÀrischen
Niederlage des Regimes, zwar zu erkennen, wohl aber nicht »denkend zu ver-
arbeiten«133 scheint, mit seinen schauspielerischen Erfolgen, die er wÀhrend der
NS-Zeit erbracht hat :
Istvan : Nur den Mut net sinken lossen ! In daitscher Herde hofgastein, aber nur, wann
der Russe wirklich kimmt. Donn zeigen wir ihm, wos mir in der Zwischenzeit gemocht
hoben. NĂ€mmlich wurde ich unter Max Reinhardt der beste Jedermann ! Jawull !134
128 Vgl. ebd.
129 LĂŒdtke, Macht der Emotionen, S. 54.
130 Vgl. Kapitel 1.4.1 dieser Studie.
131 Vgl. ebd.
132 BT, S. 166.
133 Erdheim, zitiert nach : Ziegler/Kannonier-Finster, Ăsterreichisches GedĂ€chtnis, S. 77. Vgl.
Kapitel 1.4.4 dieser Studie.
134 BT, S. 166. 129
»Burg
theater«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319