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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Page - 137 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

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sellen ? Kraxeln sie nicht mehr, Ă€hnlich den Kasermanndln, jenen flinken Kobolden der VollmondnĂ€chte, die sich nur guten Menschen zeigen, in den Bergen herum ? MĂŒhsam, den Faden verlierend : Absteifen sie nicht ihre Lieder im Kassenkas ? Im Massenkaas ? Dann isses ja guat.173 In dieser Szene erscheint KĂ€the nicht nur als verwirrt oder entrĂŒckt, sondern auch eindeutig als von der nationalsozialistischen Rassenideologie beeinflusst, indem sie Juden als spitznasige, plattfĂŒĂŸige Kobolde imaginiert, die  – wie Fabel- wesen in TheaterstĂŒcken  – in Bergen herumkraxeln und ĂŒber Wiesen und Auen schleichen. KĂ€the scheint die RealitĂ€ten der Theaterwelt mit den RealitĂ€ten der tatsĂ€chlichen, nationalsozialistisch determinierten Welt zu vermischen, so wie sie auch stĂ€ndig Dialekt und Hochsprache vermischt. Ihre fortschreitende EntrĂŒckung Ă€ußert sich nicht nur sprachlich, sondern auch darin, dass sie auf unterschiedliche Arten versucht, sich selbst das Leben zu nehmen  – meist halbherzig, also mit dem Vorsatz, nicht wirklich sterben zu wollen, aber vielleicht doch Aufmerksamkeit zu erregen. KĂ€the ist diejenige, die sich auf die verĂ€nderten VerhĂ€ltnisse 1945 am schlechtesten einstellen kann. Immer wieder fĂ€llt sie in die Rolle der Marie Thomas aus »Heimkehr« und rezitiert Passagen aus dem Film, außerdem trĂ€gt sie  – trotz ihrer Angst vor den Russen  – immer noch ein Hakenkreuzkettchen um den Hals. Steiner macht da- rauf aufmerksam, dass auch Launhardts Ehefrau, eine der weiblichen Figu- ren in »Heimkehr«, ein solches Kettchen trĂ€gt und fĂŒr ihre nationalsozialistische Überzeugung im Film von den Polen zu Tode gesteinigt wird.174 In Zusammen- hang damit könnten KĂ€thes BĂŒhnenselbstmorde gesehen werden.175 Über die Selbstmordversuche hinaus versucht KĂ€the sogar, ihre Ă€lteste Tochter, Mitzi, zu töten : Als sie einen »bösen Kaffeefleck«176 auf dem Kleid ihrer Tochter ent- deckt, ĂŒbergießt sie diese mit Benzin und versucht sie anzuzĂŒnden : Der Krieg ist verloren, der braune Fleck muss weg ! Im letzten Moment kann sich Mitzi vor der rasenden Mutter retten.177 Ein berechtigter Einwand könnte an dieser Stelle die Frage sein, ob Jelinek die Figur KĂ€the nicht ein wenig aus der Verantwortung nimmt, indem sie diese mehr und mehr als unzurechnungsfĂ€hig darstellt. Es ist jedoch vielmehr zu vermuten, dass die Autorin mit der ĂŒberzeichneten Figur KĂ€the gerade das 173 BT, S.  154. 174 Vgl. Steiner, Die verdrĂ€ngten Jahre, S.  187. 175 Auch eine andere Deutungsvariante, die in Kapitel  3.1.6 dieser Studie angeboten wird, er- scheint plausibel. 176 BT, S.  174. 177 Vgl. BT, S.  174  f. 137 »Burg theater«  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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