Page - 144 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Image of the Page - 144 -
Text of the Page - 144 -
Regionalismen, etwa das »Behmakeln« (»Freindinnen«209, »Esterreichertum«210
usw.), das auch Löffler in ihrer Rezension anführt211, sowie die echte und vor-
getäuschte Unfähigkeit, diese Regionalismen zu simulieren (so genannter »Ma-
riandl-Dialekt«).212 Das Simulieren von Dialekten kommt zum Beispiel in fol-
gender Aufforderung Schorschs an Käthe zutage :
Schorsch : A daitsches Madl in Polen wirst jetzt spĂĽn. In der Wojwodschaft Luzk.
Und aus. Konnst scho onfongen, den Akzent lernen, gö !213
Die in dieser sprachlichen Mixtur gefĂĽhrten Dialoge entbehren dabei nicht
einer gewissen Komik, die jener von Hans-Moser-Filmen nicht unähnlich ist,
baut diese doch auf eben jenen BrĂĽchen zwischen Hochsprache und Dialek-
ten auf, mit denen sich Moser in die Herzen der Kinobesucher witzelte. Hinzu
kommt im »Burg theater«-Stück allerdings die Beimischung nationalsozialisti-
scher Diktion :
Schorsch : Seind Sie vielleicht die rote Pest ? Ui jegerl !
Istvan : Seind Sie vielleicht die Fratze des Bolschewismus ? Ui jegerl, hob i an Spun-
dus !
Schorsch : Seind Sie vielleicht der Vertreter des Weltjudentums ? Mir kaufen nix !
Alpenkönig : Hier bin ich nur Österreicher, hier darf ichs sein.
Käthe : Wos sokt der notiche Mensch ?
Schorsch : Er sokt, er ist oin Ausländer.
Istvan : A Behm ? A Krowot ? SchaiĂźlich !214
Bereits an diesem kurzen Textausschnitt wird Jelineks Anspielungsreichtum
sowie ihre komplexe Zitationsweise deutlich, in welcher sie etwa (leicht ver-
fremdete) Verse aus deutschen Klassikern (hier : Goethes »Faust«) mit Kas-
perl-Ausrufen (»Ui jegerl !«) und der NS-Diktion (»Fratze des Bolschewismus«,
»Weltjudentum« etc.) montiert und damit die Sprachgebrauchsformen der Fi-
guren als tendenziös und scheinhaft entlarvt. Die Künstlichkeit der Sprache
ist als zentrale dramaturgische Besonderheit des StĂĽcks festzuhalten. Jelineks
Anweisung fĂĽr Regie und Darsteller lautet :
209 BT, S. 133.
210 BT, S : 135.
211 Löffler stellt (unter anderem) »bemahkelnde Lautverschiebungen« in dem Text fest : Luder-
sinn, S. 220.
212 Vgl. Kerschbaumer, Porträt einer Dichterin, S. 150.
213 BT, S. 140.
214 BT, S. 145.
144 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319