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gens, stellte in einem Leitartikel sogar die Behauptung auf, dass Jelineks Stück
bei dem fast 90-jährigen Attila Hörbiger Herzversagen hervorrufen könne.273
War Jelinek zuvor nur das Feindbild der bürgerlichen ÖVP gewesen, so ge-
sellten sich nun die »Kronen Zeitung« und die damalige FPÖ zu dieser jelinek-
feindlichen Koalition, die gegen die Autorin zu Felde zog und sie als »Nestbe-
schmutzerin« und »Staatsfeindin« attackierte. Zu diesen Angriffen äußerte sich
Jelinek in einem ORF-Interview am 11. November 1985 in einem Beitrag, der
anlässlich der Uraufführung des Stücks in Bonn gebracht wurde, folgenderma-
ßen :
»Es wird noch immer gesagt, dieses Stück hätte vor 40 Jahren geschrieben werden sol-
len. Aber vor 40 Jahren war ich noch nicht geboren. Ich war eben erst jetzt imstande, es
zu schreiben. Und zu sagen, man soll diese alten Leute in Ruhe lassen, das ist ganz un-
glaublich, wenn man bedenkt, daß der Faschismus sich nicht hätte halten können ohne
diese Massenmedien-Industrie ; daß jemand in einem Propaganda-Spielfilm mitmacht,
eine tragende Säule des Nazi-Regimes ist. Nicht ein Mitläufer, der in irgendetwas aus
Dummheit hineingeschlittert ist.«274
Jelinek zeigte sich in dieser Diskussion also (zunächst) offensiv. Mit »Burg-
theater« hatte sie erstmals ein Bühnenstück mit deklariertem Österreich-Bezug
verfasst. Die Verweigerung der Republik, das Stück als dramatisch dargebrachte
Kritik einer anerkannten Schriftstellerin zu verstehen (auch Claus Peymann
lehnte die Aufführung des Stücks während seiner Zeit als Burg theater-Intendant
aus »qualitativen Gründen«275 ab), quittierte sie schließlich mit einem Auffüh-
rungsverbot, das die Ausnahme vorsah, dass »Burg theater« in Österreich über-
haupt nur am Wiener Burg theater gespielt werden dürfe (»Es muß dorthin, wo
es wehtut.«276), was bisher nicht geschehen ist.
In kleinem Rahmen wurde »Burg theater« in Österreich ein paar wenige Male
gezeigt : So gab es 1983 im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Theater und Fa-
schismus in Österreich 1933 – 1945« eine Lesung des Stücks. 1986 wurde vom
Kommunistischen Kulturbund aus Anlass der Burg theaterfeiern eine weitere
Lesung abgehalten. Am 17. September 1991 wurde auf Radio ö1 eine Hör-
spiel-Fassung unter dem Titel »Burgteatta« gesendet.277 Auf einer Theaterbühne
273 Vgl. profil, Nr. 48, 1985, S. 14.
274 Jelinek in einem ORF-Interview vom 11.11.1985 im Rahmen eines Beitrags von Krista
Fleischmann, zitiert nach : Perthold, Elfriede Jelineks dramatisches Werk, S. 251.
275 Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 45.
276 Jelinek in einem Gespräch mit Gerhard Moser von der KP-nahen Zeitschrift »Volksstimme«,
Faksimile des Artikels abgedruckt in : Janke, Nestbeschmutzerin, S. 182.
277 Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 46. 157
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319