Page - 160 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Image of the Page - 160 -
Text of the Page - 160 -
wenn diese für die Autorin nur Mittel zum Zweck, ihre Kritik an einer vom
Faschismus vereinnahmten Sprache, darstellten. In den meisten anlässlich des
»Burg theater«-Skandals verfassten Artikeln wurde zwischen den realen Perso-
nen und den Figuren im Stück ohnehin nicht mehr unterschieden.286 Lengauer
schreibt treffend von einer »tratschmäßigen Verknüpfung«287 der Jelinek’schen
Figuren mit der Biografie wirklicher österreichischer Schauspieler und verweist
auf die Bedeutung des historischen Rahmens, den Jelinek andeutet. Die oben
ausgeführten Assoziationsketten und die daraus resultierenden Verbindungen
zu den Realpersonen müssen aber zweifelsohne als gewollt verstanden werden,
auch wenn die Figuren in dem Stück zugleich als exemplarisch gelten können.
Die Attackierte, Paula Wessely selbst, reagierte auf die Uraufführung von
»Burg theater« in Bonn und die daraufhin einsetzende Medienschlacht letztlich
mit folgender Stellungnahme, die sich aufgrund ihrer bemühten Sachlichkeit
»wohltuend von dem Sprachunflat ihrer Boulevardpresse-Verteidiger unter-
schied«288 :
»Ich will mich nicht mit dem Stück der Frau Jelinek auseinandersetzen, werde es aber
sicher nicht verbieten lassen. Wohl aber setze ich mich mit der Rolle auseinander, die
ich damals in der NS-Zeit gespielt habe : Ja, es tut mir leid, daß ich damals nicht den
Mut aufgebracht habe, zurückzuweisen, daß sich dieses Regime mit mir brüstet ; daß
ich nicht den Mut gefunden habe, die Dreharbeiten zu ›Heimkehr‹ abzubrechen. Viel-
leicht habe ich aber doch einiges von dem wiedergutgemacht, indem ich konkreten
Menschen, jüdischen Kollegen und Freunden, in dieser Zeit konkret geholfen habe.«289
Tatsächlich gab es Interventionen von Paula Wessely und Attila Hörbiger, mit
denen diese versuchten, jüdische Freunde, etwa den Josefstadt-Regisseur Paul
Kalbeck oder den Ehemann Hermine Ehrensteins, Alexander Ehrenstein, vor
der Verfolgung (Berufsverbot, Enteignung, Inhaftierung) des NS-Regimes zu
schützen.290
Bei offiziellen Auftritten und Äußerungen achtete das Ehepaar hingegen
streng auf die politisch opportune Linie.291 Es muss zudem festgestellt wer-
den, dass Paula Wessely eine der erfolgreichsten und bestbezahltesten Darstel-
lerinnen des nationalsozialistischen Deutschen Reichs war. Bereits seit 1934
286 Vgl. Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 178.
287 Lengauer, Jenseits vom Volk, S. 217.
288 Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet, S. 261.
289 Paula Wessely in einem Interview, zitiert nach : profil, Nr. 48, 1985, S. 16.
290 Vgl. Steiner, Die verdrängte Vergangenheit, S. 87–92.
291 Vgl. ebd., S. 87.
160 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319