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grundlegende, wissenschaftliche Erfassung des Buchs bislang nicht vorliege,
weil die angerissenen Themen einfach zu ĂŒberbordend seien, und rĂ€umt ein,
auch mit ihrer Arbeit diese Leistung nicht erbringen zu können. Es muss al-
lerdings festgestellt werden, dass Mertens eine Ă€uĂerst engagierte Arbeit vor-
gelegt hat, die in ihren analytischen Teilen weitestgehend textimmanent orien-
tiert ist und eine gute Basis fĂŒr die BeschĂ€ftigung mit Jelineks Untotenmotiv
darstellt.
Den Auftrag, Jelineks groĂen Roman fĂŒr das Handbuch der Forschungsplatt-
form in zehn knappen Spalten zusammenzufassen und zu analysieren, bewÀl-
tigte Sabine Treude. Leider muss an dieser Stelle festgestellt werden, dass der
Verweis auf den Opfermythos in ihrem Beitrag gÀnzlich fehlt. Zwar schreibt
Treude von der »VerdrÀngung des Holocaust« und der »fehlenden Trauerarbeit
in Ăsterreich«404, die in dem Roman thematisiert werden. Doch die nationale
Selbstcharakterisierung als Opfer geht ĂŒber das PhĂ€nomen der VerdrĂ€ngung
weit hinaus : Im Rahmen der Opferthese wird die Geschichte nicht nur ver-
drÀngt, sondern tatsÀchlich umgeschrieben. Wenigstens ein Hinweis auf den Op-
fermythos dĂŒrfte in einem Beitrag zu »Die Kinder der Toten« eigentlich nicht
fehlen, dies wird im Laufe des folgenden Kapitels deutlich ; bei einer Neuauflage
des Lexikons sollte diese erinnerungsgeschichtliche Dimension unbedingt mit-
einbezogen werden.
Als Referenzliteratur, die fĂŒr die folgende Textanalyse ergĂ€nzend verwen-
det wurde, muss auf Hans Leberts wichtigen »Wolfshaut«-Roman405 verwie-
sen werden, der im Rahmen dieser Studie sowohl als thematischer als auch als
konzeptueller PrĂ€text fĂŒr Jelineks Roman begriffen wird, sowie auf Sigmund
Freuds Aufsatz »Das Unheimliche«406, auf den Mayer/Koberg (in einem Ne-
bensatz auch Pontzen) hinweisen. In Jelineks Roman ist in der Tat eine groĂe
Ăbereinstimmung mit den grundlegenden Ideen, die Freud in diesem Aufsatz
formuliert hatte, festzustellen.
Warum es tatsÀchlich nicht einfach ist, klare HandlungsstrÀnge aus »Die Kin-
der der Toten« zu extrahieren, diese in intertextuelle DeutungszusammenhÀnge
zu betten und auf diese Weise zu plausiblen Textinterpretationen zu gelangen,
soll im Folgenden kurz diskutiert werden.
tens, Die Ăsthetik der Untoten, online abrufbar unter : www.univie.ac.at/jelinetz (Zugriff am
11.5.2011).
404 Treude, Die Kinder der Toten, S. 113.
405 Lebert, Hans : Die Wolfshaut. Leipzig : Neuer Europa Verlag 2008.
406 Freud, Das Unheimliche, S. 229â268. 177
»Die Kinder der Toten«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319