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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Page - 193 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung

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SelbststĂ€ndiges Denken und Handeln seien demnach im Rahmen der christli- chen ReligionsausĂŒbung nicht erwĂŒnscht. Nicht zuletzt muss an dieser Stelle er- gĂ€nzt werden, dass die römisch-katholische Kirche tatsĂ€chlich jenen Antisemitis- mus ĂŒber Jahrhunderte hinweg befördert hat, auf dem die rassistische Logik des deutsch-österreichischen Faschismus in den 1930er Jahren aufbaute : So wurden die Juden als »Gottesmörder« denunziert, indem ihnen zu Unrecht die Kreuzi- gung Jesus’ angelastet wurde, auch an der Ausbreitung der Pest im Mittelalter seien sie wegen angeblicher Brunnenvergiftung schuld gewesen.492 Sogar nach 1945 gab es von Seiten kirchlicher WĂŒrdentrĂ€ger Anschuldigungen, die Juden hĂ€tten den Holocaust erfunden (»Auschwitz-LĂŒge«).493 Diese mitunter willkĂŒr- lich moralisierende und urteilende Kirche steht in »Die Kinder der Toten« im Kreuzfeuer der Kritik. DarĂŒber hinaus schwebt ĂŒber all dem die Frage, wie ein gerechter Gott das Geschehene, den Holocaust als den Superlativ des Unheimli- chen und der Entmenschlichung, zulassen konnte. Der in »Die Kinder der Toten« dargelegten Kritik an der römisch-katholischen Kirche soll an dieser Stelle entge- gengehalten werden, dass nicht nur mit dem Katholizismus, sondern letztlich mit jeder Religion im Laufe der Menschheitsgeschichte Missbrauch getrieben wurde, indem religiöse Ideale zweckentfremdet und Glaubensangehörige fanatisiert wurden. Da Jelinek ihre Texte immer sehr stark auf österreichische VerhĂ€ltnisse fokussiert, kann die Auseinandersetzung mit der hierzulande dominierenden rö- misch-katholischen Kirche dennoch als folgerichtig begriffen werden. Das den Roman begleitende Untotenmotiv (»  die Unheimlichkeit taucht ein, beginnt ihre freie, kĂŒhle Bahn«494) stellte 1995 innerhalb des Jelinek’schen ƒuvres tatsĂ€chlich kein Novum dar. Mit den Vampirinnen aus dem Theater- stĂŒck »Krankheit oder Moderne Frauen« hatte die Autorin das originĂ€r Un- heimliche bereits in den 1980er Jahren zum Thema eines ihrer Texte gemacht. Das Motiv entspricht dabei ihrem in theoretischen Schriften und Interviews be- reits mehrfach geĂ€ußerten Anspruch, entindividualisierte Charaktere schaffen zu wollen, deren Schablonenhaftigkeit und Austauschbarkeit vorgefĂŒhrt werden sollen.495 Jelinek habe sich von Anfang an literaturĂ€sthetisch im Einklang mit Roland Barthes’ dekonstruktivistischen Theorien befunden, meint dazu die Ger- 492 Vgl. etwa Schoeps/Schlör, Bilder der Judenfeindschaft. 493 Zuletzt sorgte der von Marcel Lefevbre 1988 zum Bischof geweihte Priester Richard Wil- liamson fĂŒr Aufsehen, als dieser 2009 in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen öffentlich die Existenz von Gaskammern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern bestritt. Die von Johannes Paul  II. wegen der unerwĂŒnschten Bischofsweihe verhĂ€ngte Ex- kommunikation hob Papst Benedikt  XVI. wieder auf, was zu Kontroversen innerhalb der rö- misch-katholischen Kirche fĂŒhrte. Vgl. Benz, Handbuch des Antisemitismus, Bd.  2, S.  888  f. 494 KDT, S.  622. 495 Vgl. die Kapitel  1.6.1 sowie 3.1.3 dieser Studie. 193 »Die Kinder der Toten«  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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