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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Dorf liegt, aufzudecken. Gespenstische Visionen und blutgetrĂ€nkte Spuren im Schnee sind erste Hinweise auf das VerdrĂ€ngte (»   eine Botschaft, die dar- auf wartet, gelesen zu werden«528). Die unheimliche AtmosphĂ€re wird von der Dorfgemeinschaft der vermeintlichen Gefahr zugeschrieben, die von einem streunenden Wolf ausgeht. Doch der Wolf ist vielmehr Symbol fĂŒr die Schuld, das schlechte Gewissen und die Angst vor der SĂŒhne : Das Unaussprechliche, das im Hinterhalt bereitliegt, nimmt »in den MostschĂ€deln Wolfsgestalt an [
]«529. Die unheimliche Szenerie ist von ungewöhnlichen Wettererscheinun- gen begleitet, Nebel, Wind und stĂ€ndigen RegenfĂ€llen (»  ein dĂŒnnes, wei- nerliches Gewieschel, das die WĂ€lder in graue Schleier hĂŒllte und den Boden allmĂ€hlich durchtrĂ€nkte«530). Unfreund kommt schließlich dahinter, dass einige Dorfbewohner kurz vor Kriegsende 1945 sechs Fremdarbeiter ermordet und in einer alten Ziegelei verscharrt hatten. Sein Vater hatte beim Eingraben der Leichen geholfen und sich dadurch selbst schuldig gemacht. Um zu verhin- dern, dass einer der Beteiligten ĂŒber die Geschehnisse berichtet, wurden die weiteren Morde begangen. Bittere Pointe des Romans : Der Hauptschuldige und RĂ€delsfĂŒhrer, ein Förster namens Habergeier, ist gerade in den Landtag gewĂ€hlt worden und kann sich im Schutze seiner ImmunitĂ€t der irdischen Ge- rechtigkeit entziehen.531 In ihrer Rezension zur Neuauflage von Leberts Roman schrieb Jelinek 1991 von der unglaublichen »Ungerechtigkeit, daß die einen tot sind und die anderen nicht«, weil die einen »dafĂŒr gesorgt [haben], daß fĂŒr die anderen alles fĂŒr im- mer beendet worden ist«. Diese Ungerechtigkeit fĂŒhre schließlich dazu, dass wir Lebenden »uns selbst stĂ€ndig vernichten mĂŒssen«532. In »Die Kinder der Toten« hat sie diese Schlussfolgerung literarisch kon- sequent umgesetzt, denn nicht nur die drei untoten Hauptfiguren erleben stĂ€ndige Wiederholungen und Variationen ihrer Tode. Auch die ErzĂ€hlins- tanz vernichtet sich wĂ€hrend des Sprechens selbst (»  schauen wir nach, was derweil draußen los ist, von wo ich mich einschalte, mir selber den SchĂ€del einschlage und mich melde«533), ohne dabei jedoch tatsĂ€chlich zu Tode zu kommen, denn nach vollzogenem Selbstmord wird munter weitererzĂ€hlt. Le- ben und Tod sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, denn wo die Toten untot sind, »sind auch die Lebenden nicht recht lebendig«534. Ebenso wie die 528 Lebert, Wolfshaut, S.  66. 529 Ebd., S.  436. 530 Ebd., S.  45. 531 Vgl. Miessgang, Der Querschreiber, S.  106. 532 Jelinek, Das Hundefell, S.  108. 533 KDT, S.  113. 534 Löffler, Unterwelt, unpaginiert. 199 »Die Kinder der Toten«  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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