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»Aus dem Fleischhaufen ⊠der österreichischen StÀdte, die es mit ihren Völkern immer
schon toll getrieben haben, sind drei Personen herausgefischt wordenâŠÂ«761
»⊠das Unheimliche beginnt die Erde zu umkreisen, nachdem es zuvor in Deutschland
und Ăsterreich heftig herumgeschnuppert hat, bis in die letzten Winkel und Ritzen
hinein. Seit diese LĂ€nder ihre Totenfabriken geschlossen haben, haben sie sich mehr
aufs Empfinden verlegt, das ist die Medienmedizin, die sie uns jeden Abend in die
Augenschluchten eintropfen.«762
In zuletzt zitiertem Textausschnitt ist in einem Satz sowohl thematisch als auch
sprachlich sehr vieles enthalten, das im Laufe des Romans in immer variier-
ten Formen wiederkehrt : das »Unheimliche«, das im Zusammenhang mit dem
möglichen Bezug zu Freud angesprochen wurde und hier anthropomorphisiert
dargestellt ist â es erinnert damit an die unheimliche, transzendentale Macht,
die stets ĂŒber all dem Geschehen wacht und uns »am Genick«763 fasst, wenn
wir nicht damit rechnen. DarĂŒber hinaus sind Ăsterreich und Deutschland, die
Hauptaggressoren des Zweiten Weltkriegs, in dieser Passage explizit erwÀhnt.
Die »Totenfabriken« verweisen auf die Gaskammern und Schornsteine jener
Konzentrationslager, die als »Vernichtungslager« traurige BerĂŒhmtheit erlang-
ten.
Dieser Hinweis kann als eindeutig erachtet werden, auch wenn hier auf das
assoziative TextverstÀndnis abgezielt wird : Die Schornsteine von Fabriken er-
innern an die Schornsteine der Konzentrationslager, in welchen die Gastoten
massenweise verbrannt wurden, was Betroffenen-Berichten zufolge einen cha-
rakteristischen sĂŒĂlichen Geruch verbreitet haben soll. Vermehrte Hinweise auf
einen sĂŒĂlichen Gestank finden sich im Roman vor allem ab Seite 437, die
Mure ist zu diesem Zeitpunkt bereits krÀftig angewachsen und macht sich be-
reit, die steirische Landschaft zu ĂŒberfluten :
»Ein gewisser, ihnen aus Ă€lteren Hirnschichten bekannter Geruch lastet ĂŒber dem Ort,
wo kommt er nur her ? Als hÀtte ein Abdecker etwas aus seinem Lkw gekippt. Es ist
niemand zu sehen, aber der Gestank ist geblieben, er wird sogar stÀrker, ist da eine Zu-
ckerlfabrik ? Die Leute lachen in ihrer Vereinsmeierei, sie warens nicht âŠÂ«764
761 KDT, S. 28.
762 KDT, S. 54.
763 KDT, S. 13.
764 KDT, S. 437. 235
»Die Kinder der Toten«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319