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Presse sprecher und Sekretär, öffentlich emotionale Zusammenbrüche zeigte, die
auf mehr als nur eine berufliche Zusammenarbeit schlieĂźen lassen konnten. So
habe er den »Mann seines Lebens« verloren, klagte Petzner unter anderem.907
Haiders tatsächlicher sexueller Orientierung soll im Rahmen dieser Analyse
nicht weiter nachgegangen werden, sie ist nicht von Belang. Von Interesse ist
hier aber, dass Jelinek die wiederholten Anspielungen auf eine mögliche Homo-
sexualität Haiders in das Setting für ihr Stück übernommen hat. Damit trägt sie
dem ambivalenten Umstand Rechnung, dass die Haider-FPĂ– zum einen mit
homophilen Codes operierte, zum anderen aber Homosexualität vor dem Ge-
setz nicht als gleichwertige Lebensform akzeptierte und in Wahlkämpfen sogar
Stimmung gegen Lesben und Schwule machte. Im Nationalsozialismus wurden
Homosexuelle als »Untermenschen« verfolgt und in Lagern oder Gefängnissen
interniert (und dies, obwohl auch namhafte NS-Größen als homosexuell galten
bzw. sich zum Teil auch in NS-Kreisen offen dazu bekannten, beispielsweise
SA-Stabschef Ernst Röhm908, den Hitler allerdings 1934 liquidieren ließ).909
Eine Anerkennung von Homosexuellen als Verfolgte des Nationalsozialismus
im OpferfĂĽrsorgegesetz ist jedoch in Ă–sterreich bis heute nicht erfolgt, nicht
zuletzt deshalb, weil sich Teile der FPĂ– sowie der Ă–VP gegen eine Novellierung
des Gesetzes sperren.
»Angst und Vorurteile sind die schärfsten Waffen der Wahlkämpfe«910, erkennt
der Journalist und Haider-Kritiker Hans-Henning Scharsach. Und so hatte auch
die FPĂ– in den 1990er Jahren mit Vorurteilen gegen Homosexuelle um Stimmen
gebuhlt : So bezeichnete etwa der freiheitliche Generalsekretär Walter Meisch-
berger das von Heide Schmidt gegrĂĽndete Liberale Forum, das sich fĂĽr den Aus-
bau der Rechte von Schwulen und Lesben stark machte, als »Schwuchtelpartie«.
Haider selbst soll 1996 in seiner Funktion als Klubobmann die Abgeordneten
seiner Partei dazu verdonnert haben, gegen die Angleichung des Schutzalters an
heterosexuelle Partnerschaften zu stimmen, obwohl sich zuvor einige der freiheit-
lichen Abgeordneten fĂĽr die Liberalisierung eingesetzt hatten.911
Die Abwesenheit eines weiblichen Parts, wie sie Jelinek in ihrem Theatermo-
nolog vorführt, legitimiert die Überhöhung der (männlichen) Führerfigur sowie
die Organisation in männlich-patriarchalen Hierarchien.
907 Vgl. etwa Jan Feddersons taz-Artikel »Jörg Haiders WitwerÂ
– Die Tränen von Stefan Petzner«,
online abrufbar unter : http://www.taz.de/ !24855 (Zugriff am 4.10.2012).
908 Vgl. Theweleit, Männerphantasien 2, S. 331.
909 Vgl. Kapitel 1.4.1 dieser Studie.
910 Scharsach, Haiders Kampf, S. 15.
911 Vgl. den einschlägigen Artikel des profil-Redakteurs Herbert Lackner, bei profil-online ab-
rufbar unter : http://www.profil.at/articles/0843/560/223477/joerg-haiders-leben-der-um-
gang-sexualitaet (Zugriff am 6.10.2012).
258 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319