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Auch Haider grĂŒndete seine politische Karriere nicht zuletzt auf der Konst-
ruktion und Aufrechterhaltung von Feindbildern, gegen die er mit seiner Partei
und auch persönlich vorzugehen trachtete : etwa gegen die »GroĂkopferten«997
in Wien und BrĂŒssel, gegen »Linke« (im weitesten Sinne), »AuslĂ€nder« und
Juden oder in KĂ€rnten auch gegen die autochthone Volksgruppe der KĂ€rntner
Slowenen (erinnert sei hier nur an den nicht enden wollenden »Ortstafelstreit«).
Dabei schuf er das Image des »Privilegienritters«, der die Nöte des »kleinen
Mannes« kenne und unerschrocken fĂŒr dessen soziale Besserstellung kĂ€mpfe.
Auch der Sprecher erkennt :
»Denn der kleine Mensch, der braucht sein kleines Haus.«998
Die in Jelineks Text geschilderte Haider-FPĂ der 1990er Jahre kommt in eini-
gen Punkten der im theoretischen Teil dieser Studie wiedergegebenen Charak-
terisierung Wolfgang Wippermanns einer (idealtypischen) faschistischen Partei
auffallend nahe : Sie ist streng hierarchisch nach dem FĂŒhrerprinzip gegliedert,
zelebriert ihren politischen Stil auf ritualisierten Massenkundgebungen und be-
tont dabei ihren jugendlichen und vor allem mÀnnlichen Charakter. Im Mittel-
punkt ihrer politischen Agitation steht die Ablehnung und (verbale) BekÀmp-
fung von AuĂenstehenden.999
Dass das Versprechen der Besserstellung oftmals mit der ZurĂŒcksetzung an-
derer (den Feinbild-Gruppen angehörenden bzw. gemeinschaftsfremden Perso-
nen) eingelöst werden wollte, vermochte immerhin knapp ein Drittel der WÀhler
bei den Nationalratswahlen im Herbst 1999 nicht abzuschrecken : Nach einem
aggressiven »Anti-AuslĂ€nder«-Wahlkampf erreichte die Freiheitliche Partei Ăs-
terreichs unter Bundesobmann Jörg Haider knapp 27 Prozent der WÀhlerstim-
men â ein demokratiepolitisch zweifelhafter Erfolg, welcher mit der in Jelineks
Text angebotenen Deutung des Sprechers â eine VerschrĂ€nkungsfigur von
(homoerotischer) SexualitĂ€t, Macht und VerfĂŒhrung1000 â jedenfalls zum Teil
erklÀrt werden kann.
997 LW, S. 21.
998 LW, S. 32.
999 Vgl. Wippermann, Hat es Faschismus ĂŒberhaupt gegeben, S. 56. Vgl. dazu auch Kapitel 1.4.1
dieser Studie.
1000 Vgl. LĂŒcke, Gespenster, S. 93. 273
»Das Lebewohl«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319