Page - 277 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Image of the Page - 277 -
Text of the Page - 277 -
Das schwarz-blaue Projekt kam jedoch bald ins Straucheln. Bereits 2002
mussten Neuwahlen vorgezogen werden, die mit EinbuĂen fĂŒr die FPĂ en-
deten. 2005 schlieĂlich spaltete sich die Partei nach massiven internen Aus-
einandersetzungen in FPĂ (unter Heinz Christian Strache) und BZĂ (unter
Jörg Haider) auf. 2008 kehrte Haider als BZĂ-Parteivorsitzender und dessen
Spitzenkandidat im Wahlkampf in die Bundespolitik zurĂŒck und verdoppelte
den Stimmenanteil seiner Partei bei den Nationalratswahlen im September auf
beinahe 11Â
Prozent. Haider war wieder im Rennen. Seine zuvor belÀchelte neue
Partei, das BZĂ, hatte mit 10,7Â Prozent immerhin die GrĂŒnen (10,4Â Prozent)
knapp ĂŒberholt.1015
Wenige Wochen spĂ€ter verunglĂŒckte der BZĂ-Parteichef und KĂ€rntner Lan-
deshauptmann bei einem Autounfall tödlich, und sein groĂes Comeback fand
ein jÀhes Ende. Mit dem Essay »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« verabschiedete sich
Elfriede Jelinek in der ihr eigenen Weise von Jörg Haider, der im katholischen
Ăsterreich zu Unrecht als »Erlöser«1016 ersehnt worden sei.
»Wir hatten nur einen wie ihn. So einer kommt nicht wieder. So einen kriegen wir nie
wieder. Er kommt vielleicht wieder, aber man wird ihn nicht erkennen können : die
Tragik des Erlösers, er kommt immer wieder, auch als ein andrer, doch er muà immer er
bleiben, und man erkennt ihn bald nicht mehr. Man erkennt ihn womöglich in einem
anderen. Entsetzlich !«1017
2009 spaltete sich das haidertreue Lager im BZĂ als FPK ab. Seit 2010 koope-
rierten FPĂ und FPK, im Juni 2013 kehrte die FPK wieder in den SchoĂ der
Bundes-FPĂ zurĂŒck. Das BZĂ ist derzeit nur noch im KĂ€rntner Landtag mit
zwei Mandaten vertreten â das Ablaufdatum der Partei scheint vorprogram-
miert.1018
In Bezug auf Jelineks Theatermonolog muss an dieser Stelle festgehalten wer-
den, dass die Rezeption, wenn sie auf die expliziten Anspielungen auf Jörg Hai-
der und die Haider-FPĂ der 1990er Jahre sowie die angesprochenen Ereignisse
rund um die »Wende« von 1999/2000 fokussiert ist, nur fĂŒr Ăsterreicher oder
profunde Ăsterreich-Kenner und ĂŒber einen eingeschrĂ€nkten Zeitraum hinweg
möglich ist. TatsÀchlich ist es so, dass sich Jelinek beim Schreiben immer auf ein
1015 Zu den genauen Wahlergebnissen vgl. Kapitel 3.3.3.3 dieser Studie.
1016 Jelinek, zitiert nach : Janke, Nestbeschmutzerin, S. 152.
1017 Dies., Von Ewigkeit zu Ewigkeit, unpaginiert.
1018 Das BZĂ unter Parteiobmann und Spitzenkandidat Josef Bucher erreichte bei den Natio-
nalratswahlen im September 2013 nur noch 3,5Â Prozentpunkte und konnte somit die fĂŒr den
Nationalrat vorgegebene Vier-Prozent-HĂŒrde nicht ĂŒberspringen. 277
»Das Lebewohl«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319