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Das schwarz-blaue Projekt kam jedoch bald ins Straucheln. Bereits 2002
mussten Neuwahlen vorgezogen werden, die mit Einbußen für die FPÖ en-
deten. 2005 schließlich spaltete sich die Partei nach massiven internen Aus-
einandersetzungen in FPÖ (unter Heinz Christian Strache) und BZÖ (unter
Jörg Haider) auf. 2008 kehrte Haider als BZÖ-Parteivorsitzender und dessen
Spitzenkandidat im Wahlkampf in die Bundespolitik zurück und verdoppelte
den Stimmenanteil seiner Partei bei den Nationalratswahlen im September auf
beinahe 11
Prozent. Haider war wieder im Rennen. Seine zuvor belächelte neue
Partei, das BZÖ, hatte mit 10,7 Prozent immerhin die Grünen (10,4 Prozent)
knapp überholt.1015
Wenige Wochen später verunglückte der BZÖ-Parteichef und Kärntner Lan-
deshauptmann bei einem Autounfall tödlich, und sein großes Comeback fand
ein jähes Ende. Mit dem Essay »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« verabschiedete sich
Elfriede Jelinek in der ihr eigenen Weise von Jörg Haider, der im katholischen
Österreich zu Unrecht als »Erlöser«1016 ersehnt worden sei.
»Wir hatten nur einen wie ihn. So einer kommt nicht wieder. So einen kriegen wir nie
wieder. Er kommt vielleicht wieder, aber man wird ihn nicht erkennen können : die
Tragik des Erlösers, er kommt immer wieder, auch als ein andrer, doch er muß immer er
bleiben, und man erkennt ihn bald nicht mehr. Man erkennt ihn womöglich in einem
anderen. Entsetzlich !«1017
2009 spaltete sich das haidertreue Lager im BZÖ als FPK ab. Seit 2010 koope-
rierten FPÖ und FPK, im Juni 2013 kehrte die FPK wieder in den Schoß der
Bundes-FPÖ zurück. Das BZÖ ist derzeit nur noch im Kärntner Landtag mit
zwei Mandaten vertreten – das Ablaufdatum der Partei scheint vorprogram-
miert.1018
In Bezug auf Jelineks Theatermonolog muss an dieser Stelle festgehalten wer-
den, dass die Rezeption, wenn sie auf die expliziten Anspielungen auf Jörg Hai-
der und die Haider-FPÖ der 1990er Jahre sowie die angesprochenen Ereignisse
rund um die »Wende« von 1999/2000 fokussiert ist, nur für Österreicher oder
profunde Österreich-Kenner und über einen eingeschränkten Zeitraum hinweg
möglich ist. Tatsächlich ist es so, dass sich Jelinek beim Schreiben immer auf ein
1015 Zu den genauen Wahlergebnissen vgl. Kapitel 3.3.3.3 dieser Studie.
1016 Jelinek, zitiert nach : Janke, Nestbeschmutzerin, S. 152.
1017 Dies., Von Ewigkeit zu Ewigkeit, unpaginiert.
1018 Das BZÖ unter Parteiobmann und Spitzenkandidat Josef Bucher erreichte bei den Natio-
nalratswahlen im September 2013 nur noch 3,5 Prozentpunkte und konnte somit die für den
Nationalrat vorgegebene Vier-Prozent-Hürde nicht überspringen. 277
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319