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war. Der 1920 geborene Schreiber sprach ausgezeichnet Französisch und fun-
gierte von 1948 bis 1951 auch als österreichischer Chefredakteur der Wochen-
zeitschrift „Kulturelles“ im französischen Informationsdienst.
2.1.4 Literaturpreise und staatliche Förderung
Plachta spricht davon, dass Literaturpreise drei Funktionen erfüllen: Sie gelten
(1) einerseits als Indikator für literarisch-ästhetische, kulturpolitische und wel-
tanschauliche Auffassungen über Literatur, haben (2) die Funktion, den Autor
bzw. die Autorin durch Preisgeld finanziell bzw. sozial zu unterstützen und (3)
kann eine Institution, die Preise vergibt, sich in der Öffentlichkeit darstellen und
für ihre Ziele werben.99
Hinsichtlich dieser Kriterien entlarvt sich die staatliche Preis- und Förder-
politik der Zweiten Republik selbst. Die Literatur war in kulturpolitischer Hin-
sicht während der 1950er Jahre nur das „traditionell fünfte[] Rad am musiklas-
tigen Thespiskarren österreichischer Kulturöffentlichkeit“.100 Die Kulturpolitik
konzentrierte sich in den Nachkriegsjahren auf die Ausbildung eines von Deutsch-
land unabhängigen nationalen Selbstverständnisses, dessen internationale Aus-
strahlung mit Institutionen wie den Wiener Philharmonikern, den Sängerkna-
ben, den Ensembles von Burgtheater und Staatsoper, der Spanischen
Hofreitschule sowie den Salzburger Festspielen gewährleistet werden sollte. Dies
führte jedoch zu einer Vernachlässigung der Innovationen setzenden modernen
Kunst, worunter v. a. die Gegenwartsliteratur zu leiden hatte. Das jährliche Kul-
turbudget des österreichischen Staates hielt nur ein Prozent des Gesamtbudgets
für die Literatur bereit.101 Auch der „Große Österreichische Staatspreis für Lite-
ratur“ sowie der Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht wur-
den erst im Jahr 1950 wieder gestiftet, wobei jedoch bereits 1948 im Unterrichts-
ministerium Überlegungen zur Wiedereinrichtung der Staatspreise für Literatur,
Musik und bildende Kunst einsetzten. Dabei stützte man sich auf die Grundsät-
ze, nach denen vor 1938 – also während des austrofaschistischen Ständestaats
–,
Preisstiftungen erfolgt waren. Dass die „Literaturpolitiker“ der Zweiten Repub-
lik bis in die 1960er Jahre hinein fast ausschließlich jene Autorinnen und Auto-
ren mit repräsentativen Literaturpreisen bedachten, die bereits bei den Litera-
99 Vgl. Plachta: Literaturbetrieb, S. 107.
100 Michaela Judy: Literaturförderung in Österreich. Untersuchungen zum Verhältnis von Litera-
tur und staatlicher Förderungspolitik. Univ.-Diss. Wien 1984, S. 70.
101 Vgl. Dietmar Goltschnigg, Kurt Bartsch: Sozialgeschichtliche Voraussetzungen. Literaturbe-
trieb. In: Viktor Žmegač (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis
zur Gegenwart. Bd. III/2. 2. Aufl. Weinheim: Athenäum 1994, S. 695–710.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
70 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437