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Henz hat dem österreichischen Literaturbetrieb dann auch in seinem Roman
Der Kartonismus (1965) ein satirisches Denkmal gesetzt, in dem er mit den
„unterschiedlichsten Feinden des konservativen Kunstsinns abrechnete“57 und
in dem die aus der Ersten in die Zweite Republik weitergetragene Antimoderne
ihren Höhepunkt erreicht und ihr Ende findet. Im Sinne Bourdieus hat sich also
durchaus eine „Ausdifferenzierung“ des literarischen Feldes in den ersten Jah-
ren, in denen die ÖGL ihre Wirkung entfaltete, vollzogen. Die „alte Garde“ ver-
lor zunehmend an Geltung, was ihr „symbolisches Kapital“ betraf, was sich auch
an folgender Eintragung ablesen lässt: „Da fällt das Ephemere ab, das Ausge-
schriebene, der ganze Kultur- und Literaturbetrieb, dieses schrecklichste aller
Dinge. Was der sagt, was der.“58
Auch Otto Basil, hinsichtlich ästhetischer Belange sicherlich liberaler als Henz
und auch von seiner politischen Einstellung her eher linksgerichtet, als Heraus-
geber des „PLAN“ bzw. als Kulturredakteur der Tageszeitung „Neues Österreich“,
kann sich mit dieser neuen Institution des literarischen Lebens nicht wirklich
anfreunden, wie er Matejka berichtet: „Auch die ‚Österreichische Gesellschaft für
Literatur‘, das von den Schwarzen zur Zeit gestattete und kontrollierte Ventil für
Ostkontakte, und deren Stammkundschaft sind für mich ein wahres Brechmittel
– ich gehe nie dort hin, und sinnt mir das ‚N[eue] Ö[sterreich]‘ einmal eine Bespre-
chung an, so werde ich sofort krank, bekomme Darmkatarrh oder Grippe.“59
Basil ist dann auch in der Anfangszeit der ÖGL nie dort aufgetreten, selbst
zum Erscheinen seines ersten und einzigen Romans Wenn das der Führer wüß-
te 1966 im Molden Verlag, der mit der ÖGL in gutem Kontakt stand, gab es kei-
ne Buchpräsentation. Erst 1978 wird er auf einem von der ÖGL organisierten
Georg-Trakl-Symposium einen Vortrag halten, hatte er doch 1965 eine maßgeb-
liche Trakl-Monographie im Rowohlt-Verlag veröffentlicht.60
3.1.4 Aufgaben und Zielsetzungen der ÖGL
Wie aus dem Subventionsansuchen der ÖGL an das Bundesministerium für
Unterricht hervorgeht, war das Bemerkenswerte am Konzept dieser Institution,
57 Haider: „Der Kartonismus“. In: Karner (Hg.): Österreich – 90 Jahre Republik, S. 421.
58 Rudolf Henz: Tagebuch, 30. April 1962, NL RH.
59 Otto Basil an Viktor Matjeka, 3. November 1966, Literaturarchiv der österreichischen Natio-
nalbibliothek, Nachlass Otto Basil, ÖLA 52/97, 52/B1–52/B30. Für diesen Hinweis danke ich
Desiree Hebenstreit!
60 Vgl. Otto Basil: Georg Trakl in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek/Hamburg:
Rowohlt 1965 (= Rowohlts Monographien 106). Diese Monographie wurde zuletzt im Jahr
2010 neu aufgelegt.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
96 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437