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von zirka 1975 bis Ende der 1980er Jahre, soll im Folgenden Kraus und der
„Mobilisierung“ österreichischer Literatur in kulturpolitischen Diensten nach-
gegangen werden. Dabei wird versucht, auf folgende Fragestellung einzugehen:
Welche Ziele verfolgte Kraus als Akteur einer staatlichen Kulturpolitik? Welche
Inhalte versuchte er im Zuge seiner Tätigkeit für verschiedene staatliche Stellen
zu vermitteln, wenn nicht sogar zu propagieren, sowie – daran anknüpfend –,
welche Aspekte von „Kultur“ dabei ausgeschlossen blieben.
5.1 Elemente einer Kraus’schen Kulturpolitik
Kultur, das ist nicht nur, wie das so oft im vergangenen Jahrhundert gemeint wurde,
der Bereich der Dichtung, der Musik, der Malerei, der klassischen Wissenschaften.
Kultur liegt im Niveau von sehr vielem, das mit all dem nichts zu tun hat.22
Für Kraus kann gelten, was Pierre Bourdieu über die Figur des konservativen
Intellektuellen festgehalten hat. Bourdieu geht davon aus, dass das Wirken eines
konservativen Intellektuellen im Zeichen „der objektiven Beziehungen“ steht,
die er „mit anderen Positionen des Feldes verbindet“,23 wodurch ihm ein dem
Feld immanentes Problem aufgezwungen wird, das Bourdieu als ein Moment
der Passivität bzw. Trägheit bezeichnet. Dieses Moment lässt sich auch an Kraus’
Rolle innerhalb der österreichischen Kulturpolitik zeigen. „Niemals ergreifen
sie die Initiative, eine Welt zu problematisieren, der sie nichts Böses nachzusa-
gen haben […]. Tatsächlich übersetzen ihre typischsten Diskursstrategien unmit-
telbar ihre aus doppelter Ausschließung rührende widersprüchliche Position,
die meist mit einer über Kreuz geknickten Laufbahn verbunden ist“.24 Jene Gren-
ze, welche die verschiedenen Felder zwischen den Kompetenzen und Charakte-
ristika ihrer Akteure gegen Akteure anderer Felder aufrichten, bestimmt den
Grad ihrer Autonomie sowie die Pluralität von Praxisfeldern.25 Diese Grenzen
verspürte Kraus bisweilen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, wenn er aus
dem politischen Feld heraus auf den Literaturbetrieb einwirkte. So lässt sich im
Anschluss an diese Fragestellung weiter anführen, ob Kraus durch sein kultur-
politisches Handeln das symbolische Kapital der österreichischen Autorinnen
22 Wolfgang Kraus: Kulturelle Wirkungen realen Handelns. Zum 60.
Geburtstag von Gerd Bacher,
ms.Ts., Bl. 6., NL WK. Abgedruckt in: Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren.
Zum 60. Geburtstag. Salzburg, Wien: Residenz 1985, S. 117–126.
23 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 439.
24 Ebd. [Kursivierung im Original.]
25 Vgl. Joseph Jurt: Text und Kontext. Zur Theorie des literarischen Feldes. In: Herbert Foltinek,
Christoph Leitgeb (Hg): Literaturwissenschaft: intermedial – interdisziplinär. Wien: ÖAW 2002,
S. 97–120.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
302 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437