Page - 83 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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büchern hat Kraus festgehalten, dass er jenen Orten, an denen das literarische
Leben stattfand, wie das Café Hawelka oder die Marietta-Bar in der Wiener Spie-
gelgasse, die „zu den snobistischen In-Lokalen“ gehörten, in den 1950er Jahren
ablehnend gegenübergestanden sei, während er den „Art-Club“ geschätzt habe,
der zunächst noch von „Nachkriegselan“ geprägt gewesen sei und „nach Aufho-
len von Entwicklungen außerhalb der Grenzen erfrischt[e]: Eigentlich gründe-
te ich die Literaturgesellschaft all dem entgegen.“10
Anhand der Veranstaltungen der ÖGL lassen sich die in Österreich zwischen
1945 und 1965 einander gegenüberstehenden „zwei konkurrierende[n] Paradig-
men“ nachverfolgen, nämlich das eines inhaltlichen und formalen Aufbruchs,
welches in der unmittelbaren Nachkriegszeit dominierend gewesen war und sich
in den 1960er Jahren durchzusetzen begann, sowie „jenes des Anschlusses an
die Tradition, das in den fünfziger Jahren das vorherrschende war, zumindest
offiziell“.11 Insofern ist die ÖGL hier an der historischen Ausdifferenzierung des
literarischen Feldes beteiligt, die jedoch nicht ohne literaturhistorische Prämis-
sen und gesellschaftspolitische Veränderungen verläuft. Diesen Veränderungen
innerhalb des literarischen Felds soll in diesem Kapitel anhand einer Program-
manalyse Rechnung getragen werden, die entlang literaturhistorischer Flucht-
punkte vorgenommen werden wird. Zunächst stehen die Kontexte der Grün-
dung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das Arbeitsvorhaben der ÖGL
im Vordergrund.
3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur
Bevor auf die Anfänge der ÖGL näher eingegangen wird, sei zunächst ein Blick
auf eine gescheiterte Vorgängerorganisation geworfen: Die Wiener „Grillpar-
zer-Gesellschaft“ hatte für die Gründung der ÖGL große Bedeutung. Mit einem
geplanten Grillparzer-Institut sollte die österreichische Literatur im In- und
Ausland Verbreitung finden. Hier wurden ähnliche Aufgaben und Zielsetzun-
gen vorgegeben, die später auch von der ÖGL verfolgt wurden: Die „Bekannt-
machung und Erforschung der österreichischen Literatur“12 stand im Mittel-
Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 7: Das 20. Jahrhundert. Graz: Akade-
mische Druck- und Verlagsanstalt 1999, S. 539–636, hier S. 597.
10 Ders.: Tagebuch, 2. Jänner 1987, Österreichische Nationalbibliothek, Literaturarchiv, Nachlass
Wolfgang Kraus, ÖLA 63/97 [in der Folge als NL WK zitiert].
11 Sigurd Paul Scheichl: Vergessene Träger des Großen österreichischen Staatspreises in den fünf-
ziger Jahren. In: Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.): Literatur in Österreich von 1950 bis 1965.
Walter-Buchebner-Tagung 1984. Mürzzuschlag: Walter-Buchebner-Gesellschaft 1984, S. 75–91,
hier S. 79.
12 Viktor Suchy: Hundert Jahre Grillparzer-Gesellschaft. Materialien und Reflexion. In: Jahrbuch
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
83Die
Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437