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3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR
LITERATUR (1961–1975)
Die 1960er und 1970er Jahre „sind der Angelpunkt einer Traditionslinie, die uns
erzählt“ wird und „die wir weitererzählen“, so Klaus Zeyringer. Ist dieses Jahr-
zehnt jedoch wirklich nur in der Position des Widerstands einer jüngeren Gene-
ration zu lesen, die gegen eine konservative Restauration „mit einer Fassade der
Offenheit“1 opponierte, wie Zeyringer dies formulierte? Und welche Rolle spiel-
te in dieser Zeit der gesellschaftspolitischen Veränderungen, die auch die Lite-
ratur betrafen, eine Institution des Literaturbetriebs wie die „Österreichische
Gesellschaft für Literatur“ (ÖGL)?
Um einen differenzierten Blick auf diese Zeit und die Rolle der ÖGL im lite-
rarischen Feld zu werfen, sei zunächst ein Ensemble von literaturhistorischen
Beurteilungen versammelt. Denn in Bezug auf die literaturbetriebliche Wirkung
der ÖGL und ihre Bedeutung im Feld differieren die Meinungen. Es finden sich
lobende Worte von Freundinnen und Freunden ebenso wie harsche Kritiken,
die auch mit der jeweiligen Position der Akteurin bzw. des Akteurs im literari-
schen Feld verbunden sind. Manche Kritikerinnen und Kritiker, darunter Tho-
mas Rothschild, gehen hart mit der Tätigkeit von Kraus und der ÖGL ins
Gericht.2 Paul Kruntorad entwickelt in seinem Aufsatz „Charakteristika der
Literaturentwicklung in Österreich 1945–1967“ ein differenzierteres Bild von
Kraus und der Tätigkeit der ÖGL, ist jedoch der Ansicht, dass sich deren Grün-
dung „nach einem Plan des damaligen für Kunst und Kultur im Unterrichtsmi-
nisterium zuständigen Sektionsrates, der mit der Einrichtung von quasi priva-
ten, aber von Subventionen abhängigen Vereinen den Kulturbetrieb fest in die
Hände seiner Behörde bekommen wollte“, ein „eindeutig politisch motivierter
Akt“3 gewesen sei. Dass die ÖGL „auf sehr reale Weise die Arbeit des österrei-
1 Ein Gespräch zur Einleitung (Wien, 3.
Jänner 2001). In: Franz Haas, Hermann Schlösser, Klaus
Zeyringer (Hg.): Blicke von außen. Österreichische Literatur im internationalen Kontext. Inns-
bruck: Haymon 2003, S. 9–37, hier S. 20 f.
2 Vgl. Thomas Rothschild: Österreichische Literatur. In: Klaus Briegleb, Sigrid Weigel (Hg.):
Hanser Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd.
12: Gegenwartsliteratur seit 1968. München: dtv 1992, S. 667–702, hier S. 676; ders.: Die bes-
ten Köpfe. Der Kanon der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. In: Wendelin
Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer (Hg.): Die einen raus – die anderen
rein. Kanon und Literatur: Vorüberlegungen zu einer Literaturgeschichte Österreichs. Berlin:
Erich Schmidt 1994 (= Philologische Studien und Quellen 128), S. 126–133, hier, S. 130.
3 Paul Kruntorad: Charakteristika der Literaturentwicklung in Österreich 1945–1967. In: Lud-
wig Fischer (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland. Hanser Sozialgeschichte der
deutschen Literatur. Bd. 10. München, Wien: Hanser 1986, S. 628–650. hier S. 644.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437