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Einleitung
„Der Begriff vom Zivilisationsbruch will den nachgerade singulären Umstand der
Vernichtung von Menschen durch Menschen als Durchbrechung aller bisher als gewiss
e rachteten ethischen und instrumentellen Schranken von Handeln kennzeichnen. Eine
solche Überschreitung markiert einen an der Menschheit verübten Zivilisationsbruch.“1
Dan Diner
Der wirtschaftliche , gesellschaftliche und sicherheitspolitische Wiederaufbau Westeuro-
pas nach 1945 verdankt sich unzweifelhaft ganz maßgeblich der Expansion US-amerika-
nischer Interessen und der weltmachtpolitischen Führungsrolle , welche die Vereinigten
Staaten nach Kriegsende als neues Imperium einnahmen. Sowohl in militärischer als auch
in wirtschaftlich-technologischer Hinsicht waren die USA nun das bei weitem stärkste
und überlegenste Land , dessen neuer Internationalismus angesichts der großen materiel-
len Hilfestellungen und Unterstützungsleistungen in Europa gerne angenommen und zum
Teil wohl auch geradezu eingeladen wurde.2
Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete aber nicht nur das von den Alliierten mi-
litärisch erzwungene Ende des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges , der halb Euro-
pa in Schutt und Asche legte und Millionen zivile und militärische Opfer forderte , sondern
darüber hinaus auch das Ende eines Terrorregimes , das für monströsen Massenmord und
unfassbare Gräuel verantwortlich war , in deren Kern der Holocaust steht.
Angesichts der ungeheuren geistigen und materiellen Verwüstungen , die dieser bes-
tialische „Zivilisationsbruch“ zur Folge hatte , befanden sich die Vereinigten Staaten von
Amerika nach Kriegsende in einer historisch besonderen , ja geradezu exzeptionellen Si-
tuation.
Nachdem die politischen und gesellschaftlichen Eliten Europas über Dekaden hin-
weg – quer durch alle Lager – eindringlich vor den wirtschaftlichen und gesellschaft-
lich-kulturellen Folgen einer ‚Amerikanisierung‘ der europäischen Länder gewarnt
hatten und sich in hochkulturellen Überlegenheitsgefühlen gegenüber der ‚flachen‘
US-amerikanischen Lebenskultur und deren massenkulturellen Hervorbringungen er-
gangen waren , standen die USA 1945 nun nicht nur in ökonomischer , wirtschaftlicher ,
militärischer und machtpolitischer Hinsicht als die neue Supermacht des Westens auf
1 Dan Diner , Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust , Göttingen 2007 , 14.
2 Geir Lundestad , Empire by Invitation ? The United States and Western Europe , 1945–1952. In : Journal of
Peace Research , Vol. 23 , 1986 , No. 3 , 264 f. Mit lediglich 6 % Anteil an der Weltbevölkerung verfügten die
USA 1945 über 46 % der gesamten Weltenergie , über 48 % aller Radios , über 54 % aller Telefone und ihre
Wirtschaft kontrollierte 59 % aller weltweiten Erdölreserven. Die US-Automobilindustrie war achtmal so
groß wie die von Frankreich , Großbritannien und Deutschland zusammengenommen und die US-Navy die
größte und effizienteste der Welt. Vgl. ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741