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2. „Education for Victory“
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Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler
Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform
Die ersten Anfänge einer Institutionalisierung der amerikanischen „Missionsidee“431 von
der „Auserwähltheit Amerikas als Hort eines geglückten demokratischen Experiments“432
beziehungsweise der programmatischen Gleichsetzung von individueller Freiheit und öko-
nomischer Prosperität433 datieren zwar ins 19. Jahrhundert zurück und eine erste sowohl
binnenamerikanisch orientierte als auch auf das Ausland gerichtete US-Propagandaein-
richtung wurde bereits während des Ersten Weltkrieges ( Stichwort „Creel Committee“ )
eingerichtet , aber erst die massive Bedrohung durch die Goebbelsche NS-Propaganda
bewirkte , dass aktive Öffentlichkeitsarbeit nun zu einem wichtigen Thema der Nationalen
Sicherheit Amerikas wurde.434
431 Die sukzesssive Erweiterung der „horizontalen Raumdimension“ der zivilisatorischen Missionsidee Ende
des 19. Jahrhunderts um die „vertikale[ n ] Dimension der Erhebung und Erhöhung“, die Theodor Roose-
velts bereits 1899 als Aufgabe – „uplifting mankind“ – bezeichnet hatte , wird mittlerweile auch unter
dem kulturwissenschaftlichen Begriff der „Zivilisierungsmission“ analysiert. Vgl. Jürgen Osterhammel.
„The Great Work of Uplifting Mankind“. Zivilisierungsmission und Moderne. In : Boris Barth / Jürgen
Osterhammel ( Hrsg. ), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert ,
Konstanz 2005 , 364 ; vgl. dazu weiters : Frank Ninkovich , Kontinentale Expansion , Empire und die Zivi-
lisierungsmission im Amerika des 19. Jahrhunderts. In : Barth / Osterhammel ( Hrsg. ), Zivilisierungsmis-
sionen , a. a. O., 285–309.
432 Frank Schuhmacher , Kalter Krieg und Propaganda. Die USA , der Kampf um die Weltmeinung und die
ideelle Westbindung der Bundesrepublik Deutschland , 1945–1955 , Trier 2000 , 38. In Konkurrenz zu den
alten europäischen Kolonialmächten entwickelte sich mit dem allmählichen Aufstieg der USA zu einer
Weltmacht Mitte des 19. Jahrhundert die „Manifest Destiny“ als spezifisches Missionsbewusstsein der
jungen transatlantischen Demokratie , das allerdings primär von privater Seite getragen wurde. Befördert
wurde die Außenwerbung u. a. auch durch Ansätze eines Kulturaustausches über Forschungsinstitute und
Bibliotheken ( Austausch von Hochschullehrern sowie von Büchern ). Siehe : ebd., 38 f.
433 Die Ende des 19. Jahrhundert auftauchenden Gedanken eines „amerikanischen Exzeptionalismus“ ge-
wannen Einfluss auf die US-Außenpolitik und vermischten sich nachfolgend mit Elementen einer „ide-
ology of liberal-developmentalism“, die nach Emily Rosenberg durch folgende Elemente gekennzeichnet
war : „1 ) Belief that other nations could and should replicate America’s own developmental experience ;
2 ) faith in private free enterprise ; 3 ) support for free or open access for trade and and investment ; 4 )
promotion of free flow of information and culture ; and 5 ) growing acceptance of government activity to
protect private enterprise and to stimulate and regulate American participation in international economic
and cultural exchange.“ Emily S. Rosenberg , Spreading the American Dream : American Economic and
Cultural Expansion , New York 1982 , 7. Zit. nach : Nicolas J. Cull , The Cold War and the United States
Information Agency. American Propaganda and Public Diplomacy , 1945–1989 , Cambridge 2008 , 4.
434 Nach ersten wissenschaftlichen Studien zur Propaganda in den 1920er-Jahren ( so z. B. Walter Lippmann ,
Public Opinion [ 1922 ] ; Harold Lasswell , Propaganda technique in World War [ 1927 ] ) kam es in den
1930er-Jahren , finanziert durch die Rockefeller-Stiftung , zu ersten systematischen sozial- und kommu-
nikationswissenschaftlichen Analysen der Auslandspropaganda an der Princeton University und an der
Columbia University. Siehe : Schuhmacher , Kalter Krieg und Propaganda , a. a. O., 51. 1937 wurde in New
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741