Seite - 609 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 609 -
Text der Seite - 609 -
609
Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen
Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar –
akademische Freiheit mit Hindernissen
“The seminar has proved that individual scholars from many nations can work happily
and profitably together. It has restated concretely the ideal , the potential unity ( not of course the
homogeneity ) of Occidental culture. Its contribution is to have demonstrated this possibility.”2571
Henry Nash Smith , 1949
Ein Spezialfall des wissenschaftlichen Austausches zwischen den Vereinigten Staaten
und Österreich , der jedoch nur eine vergleichsweise schmale Elite betraf und ein von Be-
ginn an genuin akademisches Unterfangen darstellte , war das 1947 eingerichtete „Salz-
burg Seminar“.2572 Die Initiative dazu ging von Clemens Heller aus , einem 30-jährigen
Harvard-Geschichtsdoktoranden mit österreichischen Wurzeln ,2573 der die Idee hatte , im
besetzten Österreich ein Zentrum für intellektuellen Austausch zu schaffen
– einen „Mar-
shall Plan of the Mind“2574 –, in dessen Rahmen sich amerikanische Wissen schafter mit
europäischen Gelehrten und Studierenden zu freiem Gedankenaustausch treffen sollten.
the scholastic and administrative requirements of that Institute under the responsibility of the subject
contract. Upon concurrence of your office in this regard , the contractor will be instructed by the Depart-
ment of the Army to conduct further investigation to ascertain the eligi bility of subject student under the
Austrian quota for the coming scholastic year.“ Ebd., 1.
2571 Henry Nash Smith , The Salzburg Seminar. In : American Quarterly , 1949 , No. 1 , 37.
2572 Zum „Salzburg Seminar“ im Detail siehe die Dissertation von : George Holt Blaustein , Jr., To the Heart
of Europe : Americanism , the Salzburg Seminar , and Cultural Diplomacy , Diss., Harvard University
2010 , 136 ff. Ich danke an dieser Stelle Herrn Dr. George Holt Blaustein Jr. für die freundliche Überlas-
sung einer Kopie seiner Studie.
2573 Clemens Heller ( 1917–2002 ), Sohn des Wiener Verlegers Hugo Heller – in dessen Verlag die Werke
Sigmund Freuds erschienen waren –, wurde angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung von sei-
nen Eltern 1937 gemeinsam mit seinem Bruder in die USA geschickt , um dort – zunächst am Oberin
College sowie an der Ohio State University , später dann an der Harvard University – eine gute Ausbil-
dung zu erhalten , die Heller mit seinem Geschichtestudium abschloss. Nach seinem Versuch , mit dem
Salzburg Seminar einen „Marshall-Plan of the Mind“ zu schaffen – ein Projekt , das infolge des rigiden
Kultur konservatismus des Kalten Krieges letztlich scheiterte –, ging Heller nach Beendigung seines
Doktorats nach Paris. Hier lernte er u. a. Fernand Braudel und Lucien Febvre kennen , die damals die 6.
Abteilung der Ecole Pratique des Hautes Etudes leiteten und Heller für die Mitarbeit gewannen. Brau-
del wurde Hellers freundschaftlich-wissen schaftlicher Mentor ; mit ihm gemeinsam gründete Heller in
den 1960er-Jahren das auf sozial wissenschaftlich innovative Methoden und Interdisziplinarität ange-
legte Maison des Sciences de l’Homme ( MSH ), das er
– zunächst als Assistent
– nach Fernand Braudels
Tod im Jahr 1985 leitete. Siehe : Maurice Aymard , In memoriam : Clemens Heller ( 1917–2002 ). In :
Social Sciences Information , Vol. 42 , 2003 , No. 3 , 285 f.
2574 Vgl. Clemens Heller – Founder of the “Marshall Plan of the Mind”. In : Austrian Press and Information
Service , Washington D.C., Vol. 55 , September / October 2002. Zit. nach : http://www.salzburgglobal.org/
current/history-b.cfm?goto=heller [ Zugriff 2. 1. 2013 ].
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741