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Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre
Die tief verankerten europäischen Negativ-Stereotype und verklärenden Mythen53 ge-
genüber der „Neuen Welt“ haben als nachhaltige imagologische Feindbildkonstruktion
allerdings historisch weit zurück reichende Wurzeln , deren ambivalenten Ausprägungen
im Folgenden kurz nachgegangen werden soll.
Das Bild Amerikas aus europäischer Sicht bis Anfang der 1930er-Jahre
Die negativen Vorurteile , Feindbilder und Klischees hinsichtlich einer kulturellen Inferi-
orität Amerikas als Land einer vulgären , degenerierten Massenkultur , mit denen sich die
US-amerikanischen Besatzungstruppen in Europa wie auch in Österreich nach 1945 immer
wieder konfrontiert sahen , bildeten insbesondere im Kontext des beabsichtigten geistig-
kulturellen Wiederaufbaues demokratischer , westlicher Werte eine nicht zu vernachlässi-
gende Mentalreserve in den Köpfen der Nachkriegsbevölkerung. Nicht zuletzt handelte es
sich bei diesen Klischees und Feindbildern , gegen die die US-amerikanische Politik nicht
nur im Zusammenhang der Reeducation anzukämpfen hatte , um Negativ-Stereotype , die
nicht nur in der gezielt rassistisch angelegten NS-Propaganda mit „Demokratie“ allge-
mein zusammenfielen , sondern auch in der über Dekaden durch einschlägige Stereotype
geprägten Bevölkerung.
Freilich stellt die Kritik am „Amerikanismus“,54 womit das Gefahrenszenario einer dro-
henden ökonomisch-wirtschaftlichen Hegemonie einerseits sowie die aus dem Gefühl
einer proklamierten kulturellen Überlegenheit resultierende Geringschätzung gegenüber
allen diesbezüglichen Leistungen Amerikas andererseits bezeichnet wurde , keineswegs ei-
ne Erfindung des Nationalsozialismus dar. Der Boden hierfür wurde lange vorher bereitet ,
was im Folgenden anhand einiger Beispiele illustriert werden soll , wenn auch der histori-
sche Tiefpunkt zweifellos erst mit dem spezifisch antisemitisch-rassistischen Antiameri-
kanismus des Nationalsozialismus zu verzeichnen ist.
53 Vgl. Rainer Götz , Der Wandel des Amerikabildes in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Mythos
Amerika und Realität USA , phil. Diss., Univ. Graz 1979 ; zur Entstehung , Entwicklung und Verfesti-
gung nationaler Images und Stereotype siehe in diesem Zusammenhang allgemein u. a. : Robert B. Downs ,
Images of America. Travelers from abroad in the New World , Urbana / Ill., 1987 ; Jack P. Greene , The intel-
lectual construction of America. Exceptionalism and identity from 1492 to 1800 , Chapel Hill , NC 1993 ;
Philip R. DeVita ( Ed. ), Distant mirrors. America as a foreign culture , Belmont / Calif. 1993 ; Stephen Fen-
der ( Ed. ), American and European national identities. Faces in the mirror , Keele 1996 ; David E. Barclay
( Ed. ), Transatlantic images and perceptions. Germany and America since 1776 , Washington D.C. 1997.
54 Vgl. John Russell Bartlett , Dictionary of Americanism. A Glossary of Words and Phrases Usually Regar-
ded as Peculiar to the United States of America , 2. erw. Aufl., Boston 1859. Zur Begriffsgeschichte des
Terminus „Amerikanismus“ siehe weiters : Otto Basler , Amerikanismus : Geschichte eines Schlagwortes.
In : Deutsche Rundschau , 224 , August 1930 , 142–146 ; weiters : Theodor Lüddecke , Amerikanismus als
Schlagwort und Tatsache , ebd., 221 , März 1930 , 214–221 ; Richard Freienfels-Müller , „Amerikanismus“
und europäische Kultur. In : Der deutsche Gedanke , 1927 , Heft 4 , 30–35.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741